Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
Ermordung des SS -Führers Reinhard Heydrich durch tschechische Partisanen gesehen. Zwar wusste ich nicht genau, worum es ging, aber der Obersekundaner war ein blendender Hockeyspieler, gefürchtet für seine Wutausbrüche und jedenfalls einer, zu dem wir Jüngeren voller Bewunderung aufschauten.
Im Allgemeinen hatte sich der Umgangston in der Schule zumindest oberflächlich an die Forderungen der nationalsozialistischen Schulbehörden angepasst. Unter uns Schülern gab es gelegentlich eine aufsässige Stimmung, die sich aber weniger politisch als vielmehr aus einzelnen Ärgernissen erklären ließ. Mitschüler erzählten mir noch viele Jahre später, wie ich einmal mit einem Lehrer zusammengestoßen sei. Er habe versucht, mir eine Ohrfeige zu geben, woraufhin ich – hier gehen die Erinnerungen auseinander – versucht hätte, meine Schultasche durch das geschlossene Fenster zu schmeißen oder den Lehrer ebenfalls zu ohrfeigen. Jedenfalls hatte die Auseinandersetzung keine Folgen für mich: Der Lehrer forderte die Klasse auf, über diesen Vorgang zu schweigen, weil sonst strenge Maßnahmen gegen mich eingeleitet würden. In Wirklichkeit, so meinten wir, fürchtete er vor allem die Reaktion seiner Kollegen.
Ein Zwischenfall drohte dann allerdings die weitere Existenz des Landschulheims ernsthaft zu gefährden. Ein paar Jungs hatten sich – aus Gründen, die ich vergessen habe – über den Direktor geärgert. Als dieser kurz darauf auf den Flur des Wohnflügels heraustrat, beschlossen sie, ihm eine Lehre zu erteilen. Sie schnappten ihn sich vor der Tür des Waschraums und schoben ihn unter die Dusche. Das hätte auch in der alten Freien Schulgemeinde als Vergehen gegen die Schulordnung gegolten, allerdings als eines, über das man reden konnte. Nun kam der stellvertretende Schuldirektor dazu, schrie die Schülergruppe an, drohte mit Strafen. Der Direktor selbst war noch ein bisschen benommen von der Duschorgie und widersprach nicht, als sein Stellvertreter allen älteren Schülern Zimmerarrest bis zur weiteren Bestrafung verordnete.
Das aber wollten sich die meisten Schüler der Oberstufe nicht gefallen lassen. Ich erfuhr von ihren Plänen ziemlich spät, da ich als »Kornett« auf dem Flur der jüngsten Schüler wohnte. Ein Oberstufler kam nun zu mir und sagte: »Du bleibst hier und passt auf, dass die Kleinen nicht mitkommen, wenn wir losgehen. Die können das noch nicht verstehen. Halt sie in ihren Zimmern!« So konnte ich den Anfang der Aktion nicht miterleben. Die Gruppe griff sich den stellvertretenden Direktor auf dem Flur, fesselte ihn mit Wäscheleinen und brachte ihn in die »Hühnerkirche«, einen früheren Hühnerstall, der inzwischen als Hitlerjugendheim fungierte. Das schien zu passen, weil er immer das Parteiabzeichen trug und regelmäßig verkündete, dass nun die Disziplin des Dritten Reiches eingeführt werden müsse. Als sie von der »Hühnerkirche« weiter zum Waldrand zogen, rannte ich hinaus und schloss mich ihnen an. In einem alleinstehenden Haus lebte dort der Lateinlehrer, ein kleiner ältlicher Mann und ebenfalls einer von denen, die sich immer das Parteiabzeichen ansteckten. Nun stellten wir Schüler uns wie bei den Marschübungen der Hitlerjugend in Reih und Glied vor seiner Tür auf und begannen zu singen und zu marschieren. Besonders begeistert schmetterten wir ein Lied, das man uns in der HJ beigebracht hatte: »Es zittern die morschen Knochen der Welt vor dem großen Krieg, wir haben die Knechtschaft gebrochen, für uns war es ein großer Sieg. Wir werden weitermarschieren, bis alles in Scherben fällt. Denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.« Nach einer Stunde marschierten wir mit dem inzwischen gleichfalls gefesselten und ziemlich verwirrten Lateinlehrer zur »Hühnerkirche« zurück und legten ihn neben den stellvertretenden Direktor. Andere Lehrer, die mittlerweile etwas mitbekommen hatten, holten die beiden Kollegen aber bald wieder heraus.
Ich weiß nicht, wer unter den Erwachsenen über das weitere Vorgehen beriet und wie man zu dem Ergebnis kam, den Vorgang möglichst herunterzuspielen. Am folgenden Vormittag wurden wir älteren Schüler in die Bibliothek zitiert. Der Direktor warf uns unverantwortliches Verhalten vor, das den Fortbestand der Schule gefährde. Er forderte strengstes Stillschweigen, auch den Eltern gegenüber. Niemand solle die Ereignisse der Nacht je erwähnen. Außerdem würden Strafmaßnahmen gegen die Anstifter beschlossen. Einige
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