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Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Titel: Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruge
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Deutschen Presseagentur, der schon mehrere Jahre in Hongkong und Peking gearbeitet hatte – ein erfahrener Kollege, der gern mit Informationen und Erklärungen aushalf. Zu chinesischen Journalisten entwickelten sich keine Kontakte. Die Mitarbeiter von Rundfunk und Fernsehen waren nach einem ersten und einzigen Begrüßungsessen unerreichbar, und auch die Verlagsgebäude der Zeitungen blieben für mich gesperrt.
    Von den ausländischen Botschaften war ebenfalls kaum Hilfe zu erwarten. Die Briten und die Franzosen verfügten zwar über große Kanzlei- und Wohngebäude, aber nachdem diese auf dem Höhepunkt der Kulturrevolution von jungen Rotgardisten, fanatischen Mao-Anhängern, eingeschlossen und zum Teil besetzt worden waren, beschränkten sich die Mitarbeiter inzwischen nur noch auf Routinetätigkeiten. Damals war eine ganze Anzahl von Botschaften betroffen gewesen – darunter auch die Vertretungen von Indonesien und der Mongolei, der Sowjetunion und anderer sozialistischer Länder. Am schwersten hatte es die britische Botschaft getroffen: Mindestens zehntausend Rotgardisten hatten die Diplomaten und ihre Familien im August 1967 mehrere Tage lang eingeschlossen und dann das Botschaftsgebäude erstürmt und in Brand gesetzt. Die Eingeschlossenen wurden misshandelt, ehe sie mit zerrissener Kleidung durch die Menge entkommen konnten. Damals hatte sie Ministerpräsident Zhou Enlai retten lassen, indem er eine Armeeeinheit zur »Rückeroberung« der Botschaft geschickt hatte. Für einen englischen Kollegen, den Reuters-Korrespondenten Anthony Grey, hatte der Ausbruch der kulturrevolutionären Raserei besonders schlimme Konsequenzen. Er wurde von Rotgardisten im Keller seines Hauses zwei Jahre eingesperrt. Sie strichen das einzige Fenster schwarz und verhinderten, dass ihn Informationen aus der Außenwelt erreichten. Seither blickten viele Ausländer in Peking besorgt über die Schulter, wenn sie einer größeren Ansammlung von Chinesen begegneten.
    Nachdem 1972 diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und China aufgenommen worden waren, gab es nun auch eine bundesdeutsche Vertretung in Peking – mit einem ambitionierten Botschafter, auslandserfahrenen Mitarbeitern und mehreren guten Dolmetschern. Wir drei Korrespondenten stellten die »deutsche Kolonie« dar, konnten unsere Post aus dem Ausland an die Botschaftsadresse schicken lassen, mit den Diplomaten Informationen austauschen und uns über die Entwicklungen in Deutschland auf dem Laufenden halten. Die meisten anderen Botschaften waren kleiner und nicht gerade mit Chinaexperten besetzt, nur die Australier machten da eine Ausnahme: Für sie war China auf der gegenüberliegenden Seite des Pazifiks fast so etwas wie ein Nachbar, dessen Bevölkerung freilich siebzig Mal größer war. Statt eines Karrierediplomaten hatten sie den Botschafterposten mit einem unternehmungslustigen und neugierigen jungen Sinologie-Professor besetzt. Er und viele seiner Mitarbeiter sprachen Chinesisch, wussten gut über die Geschichte und den gegenwärtigen Zustand Chinas Bescheid und waren ebenso auskunfts- wie diskussionsfreudig. Die sowjetische Vertretung war bei weitem die größte und zugleich die verschlossenste. Nach den Vorfällen während der Kulturrevolution hatte man sie in eine Art Festung mit einer starken Truppe von Sicherheitsleuten verwandelt, und anschließend wurde sie von den chinesischen Behörden fast vollständig isoliert und ignoriert. Pekings Stadtverwaltung hatte sogar den Namen der Straße geändert, an dem die Enklave der Sowjetbotschaft lag. Die Adresse hieß nun »Antirevisionismusstraße Nr. 1«. Revisionismus, also das Abweichen vom wahren und revolutionären Kommunismus, war der politische Hauptvorwurf der Chinesen gegen die Sowjetunion. Dem mussten die Mitarbeiter der sowjetischen Botschaft nun täglich ins Auge sehen.
    Die Diplomaten lebten in Peking in besonderen Wohnblocks für Ausländer, nach Ost, West und Dritte Welt getrennt. Es gab drei oder vier Restaurants mit mittelmäßiger Küche, die sie manchmal besuchten, und mit einiger Regelmäßigkeit bekamen sie über die chinesische Dienststelle für die Versorgung des diplomatischen Korps Eintrittskarten für die Peking-Oper. Allerdings durften nur noch die gleichen acht revolutionären Modellopern, etwa Das rote Frauenbataillon oder Die Legende der roten Laterne , aus der Werkstatt von Maos Frau Jiang Qing aufgeführt werden. Die ersten Monate in Peking, in der kargen Welt des halbleeren

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