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Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Titel: Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruge
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glaubte ich damals nicht, dass ausländische Journalisten in das Land gelassen würden. Nun gab es erste Anzeichen, dass sich in China etwas zu ändern begann, und die Reise mit Schröders Journalistengruppe bot die erste Chance für mich, dies mit eigenen Augen zu sehen.
    In Bonn existierte zu dieser Zeit eine kleine chinesische Kontaktstelle. Es war das Büro der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua, bestehend aus dem Bürochef und seinem Stellvertreter. In Peking hatten die Deutschen seit Jahren eine ähnliche Einrichtung in Form eines Büros der Deutschen Presseagentur. Zwischen beiden Vertretungen gab es jedoch einen kleinen, aber grundsätzlichen Unterschied: Die dpa-Korrespondenten waren tatsächlich Journalisten, im Bonner Büro von Xinhua war der Chef dagegen ein gehobener Parteifunktionär und sein Vertreter und Dolmetscher ein Diplomat aus dem chinesischen Außenministerium. Die beiden wohnten und arbeiteten in einem Haus am Rande von Bad Godesberg, doch Bonner Politiker und außenpolitische Experten suchten kaum Kontakt zu ihnen. Ich hatte sie gelegentlich zu Gesprächen über China und seine Beziehungen zur sowjetischen und zur westlichen Welt besucht – zunächst bei einer Tasse Tee, später manchmal bei einem leichten, eher improvisierten chinesischen Essen und einem Gläschen hochprozentigem Maotai-Schnaps. Zweimal hatte ich sie zu kleinen Cocktailpartys bei mir zu Hause eingeladen, wo sie einige Abgeordnete und auch Mitarbeiter aus dem Außen- und Verteidigungsministerium getroffen hatten. Sie stellten eine Frage nach der anderen – vermutlich zur Belebung ihres Berichts nach Peking – und waren mit diesem ungewöhnlichen Kontakt zur deutschen Politik sichtlich zufriedener als manche der deutschen Gäste, die den chinesischen Wissensdurst ermüdend fanden.
    Nun sollte ich die Formalitäten der Visaerteilung für die vierzehntägige Chinareise im Juli 1972 bei ihnen erledigen. Ich nutzte die Gelegenheit, um eine Mitreisegenehmigung für ein kleines Kamerateam zu erbitten. Zunächst waren sie skeptisch, zeigten sich dann aber einige Zeit später sehr zufrieden, als sie mir die Erlaubnis erteilen durften, einen Kameramann und einen Tontechniker mit auf die Reise zu nehmen. Das war ein großer Erfolg, ja eine kleine Sensation: Seit mehreren Jahren, seit dem Beginn der Kulturrevolution, war kein ausländisches Kamerateam mehr durch China gereist. Was wir dort sehen und eventuell filmen dürften, blieb undefiniert. Doch was immer wir auf der Reise vor die Kamera bekommen würden – wir wollten es drehen. Alles war interessant, und wir waren sicher, Gerhard Schröder würde als Gast dafür sorgen, dass nicht nur trockene Aufnahmen vom Verhandlungstisch gefilmt würden, sondern dass anderes, farbigeres Bildmaterial die Berichte von seiner Chinareise schmückte.
    Nördlich von Peking führten die Chinesen ihren deutschen Gast auf die Große Mauer, mehrere Tausend Kilometer lang, zweieinhalbtausend Jahre alt und ursprünglich erbaut zum Schutz gegen die Reitervölker aus dem Norden. Wir standen auf einem der massiven Türme, der deutsche Gast blickte über die Hügelkette und deutete mit der Hand in die Ferne: Dort liege Deutschland, das immer noch geteilte Vaterland. Dabei zeigte er mit ausgestrecktem Arm über die Mauer allerdings in Richtung Ostsibirien und Alaska. Die Chinesen hatten ihn trotzdem verstanden. Am nächsten Tag standen die chinesischen Gastgeber mit ihrem deutschen Gast auf einem Truppenübungsplatz im Süden des Landes und schauten Soldaten zu, die mit dem Bajonett auf Pappkameraden einstachen und dazu »cha, cha!« brüllten, was so viel wie »tötet!« heißt. Wir besichtigten im Nordosten des Landes das Stahlwerk Anshan, das mit sowjetischer Hilfe erbaut worden war, filmten die Stahlarbeiter vor den Hochöfen, die sie, wie man uns sagte, ohne jede fremde Hilfe entscheidend vergrößert und verbessert hätten. In den Städten drehten wir das riesige Heer der Radfahrer, das sich durch die breiten Straßen schob. In Peking durften wir einige Bilder von den leeren Höfen der Verbotenen Stadt machen, dem alten Kaiserpalast, der seit Jahren für alle Chinesen gesperrt war, und wir filmten die schaulustigen Provinzler auf dem Tiananmen-Platz vor der Großen Halle des Volkes. Zum Begrüßungsbankett war Gerhard Schröder noch korrekt im schwarzen Anzug erschienen, beim Abschiedsessen in der Großen Halle des Volkes trug er dann eine Art Mao-Hemd. Aus dem antikommunistischen CDU

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