Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
-Konservativen, so schien uns, war ein Verbündeter des antisowjetischen chinesischen Kommunismus geworden.
Die aktuellen Besuchsberichte waren schnell in kürzeren Beiträgen abgearbeitet. Darüber hinaus hatten wir aber genügend Material gesammelt, aus dem sich nach unserer Rückkehr ein lebendiger, ungewöhnlicher Dokumentarfilm zusammenschneiden ließ. Die meisten unserer Filmrollen waren gefüllt mit Bildern aus dem Alltagsleben in China, wie man sie im Westen noch nie gesehen hatte. Der Film kam zwar nicht hautnah an das chinesische Leben heran, konnte aber doch Zustand und Entwicklung des Landes von unterschiedlichen Seiten zeigen. Leider war er statt fünfundvierzig Minuten fast neunundvierzig Minuten lang geworden. Das war in jener Zeit flexiblerer Fernsehprogramme normalerweise kein Problem. Aber offenbar hatten sich die Vorgaben gerade geändert, und der Programmdirektor der ARD entschied, der Film müsse um fünf Minuten gekürzt werden. Dazu war ich nicht bereit, woraufhin Programmdirektion und Chefredaktion die Kürzung selbst übernahmen. Sie beschlossen, die ersten Minuten herauszunehmen, die im Wesentlichen eine Vorbemerkung von mir enthielten: Dies sei ein Reisefilm mit fast touristischen Bildern, hatte ich da gesagt, nicht der Versuch, Chinas Kommunismus oder die Veränderungen und Leiden durch Maos Kulturrevolution zu schildern oder zu analysieren. Es sei einfach ein ungewöhnlich direktes Bild des heutigen China. Diesen Aufsager, wie wir es damals nannten, fanden die ARD -Kollegen unnötig und zu lang. Gekürzt war der Film nun lebhafter und gefälliger, aber auch ohne selbstkritische Einschränkung.
Das war ärgerlich, doch ironischerweise erwies sich der Eingriff als eine Art Glücksfall. Am Tag nach der Sendung begrüßte mich Herr Wang Shu, der Leiter des Büros der chinesischen Presseagentur, besonders herzlich. Das sei ein sehr guter Film, sagte er, und er wirkte so begeistert, wie ein zurückhaltender chinesischer Funktionär überhaupt sein kann. Die Bilder meines Reisefilms hatten ihm offenbar gefallen, und tatsächlich kam darin ja die ausdrückliche Erwähnung der Zeiten blutiger und totaler Diktatur nicht mehr vor. Am Ende des Gesprächs sagte er, wenn ich wolle, könne ich sicherlich ein Dauervisum bekommen und regelmäßig aus seinem Land berichten, allerdings nur für die Presse, nicht für das Fernsehen oder den Rundfunk. Eine Visazusage hatte ich also. Jetzt brauchte ich nur noch einen Korrespondentenposten in Peking, und zwar bei einer Zeitung.
Ich fand ihn bei der Welt im Axel-Springer-Verlag. Ich hatte Springer 1958 unter eigenartigen Bedingungen in Moskau kennengelernt. Damals wohnte er einige Tage inkognito im Hotel National, nur ein paar Räume entfernt von der kleinen Suite, die für mich Büro und Wohnung war. Er hoffte damals, den sowjetischen Parteichef Nikita Chruschtschow für einen deutschlandpolitischen Plan zu gewinnen, den er selbst ersonnen hatte und der einen Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands aufzeigen sollte. Aber Chruschtschow hatte Springer mit seinem Plan abblitzen lassen. Seitdem setzte der Verleger eher auf China, das er als Gegner der sowjetischen Vorherrschaft verstand. Ich überlegte ein paar Tage, bevor ich mich an den Springer-Verlag mit der Anfrage wandte, ob man einen Korrespondentenplatz in Peking eröffnen wolle. Meine Bonner Kollegen waren überrascht bis verärgert: Schließlich galt ich vielen als linksliberaler Anhänger der Ostpolitik Willy Brandts, und mit dem konservativen Springer-Verlag hatte ich zuletzt eher Verständigungsschwierigkeiten gehabt. Manche hielten einen Wechsel von der ARD zu Springer gar für eine Art Fahnenflucht. Aber dann sagte mir Kanzleramtsminister Ehmke, ich könnte diesen Schritt doch ruhig riskieren – vorausgesetzt, Axel Springer nähme nicht zur Kenntnis, dass die Chinesen Kommunisten seien, und die Chinesen nähmen nicht zur Kenntnis, dass Springer ein großer Kapitalist und Antikommunist sei. Das war ein Scherz, aber er überzeugte mich. Ich ginge ja nicht zu einer Zeitung, um einen Eid auf ihre Leitartikel abzulegen, sondern um vom neuen China zu berichten.
Als ich einigen Kollegen erzählte, Herbert Wehner habe mich zu einem Gespräch gebeten, meinten sie mit Genugtuung, er werde mir in seiner gefürchteten Bärbeißigkeit den Kopf waschen. Das Gespräch, das dann folgte, hätte sie jedoch überrascht. Wehner redete nur über China, die chinesische Revolution, die inneren Machtkämpfe und den
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