Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
Handelsbeziehungen wegen des Koreakriegs abgebrochen worden. Nun kam im Mai 1973 eine Abordnung von eindrucksvollem Kaliber, geleitet von Berthold Beitz, dem Chef von Krupp, sowie Alfred Herrhausen von der Deutschen Bank, dazu hochkarätige Vertreter der wichtigsten deutschen Handels- und Industriezweige. Sie wurden bei diesem zwölftägigen Aufenthalt als Gruppe durch die chinesische Hauptstadt geführt, besichtigten Fabriken, zu denen ihnen nur schwer lobende Bemerkungen einfallen konnten, hatten ein Gespräch in der Universität, in der es kaum Studenten, aber viele Soldaten gab, und hörten in Volkskommunen im landwirtschaftlichen Umland mehrfach den gleichen Vortrag über die politischen Errungenschaften der Kulturrevolution und das hohe ideologische Bewusstsein der Arbeiter.
Die Delegation war ebenfalls im Minzu untergebracht. Zurück von Reisfeldern oder Werkshallen, brachten die Dolmetscher sie an ihren reservierten Tisch im Restaurant und wünschten allen eine angenehme Nachtruhe. Nach dem frühen Abendessen lag das Hotel im Dunkeln. Kein Restaurant, keine Bar war geöffnet. Einige der deutschen Gäste hatten sich deshalb etwas mit aufs Zimmer genommen, aber im Hotel gab es nur den starken chinesischen Schnaps und einen Whiskey, der nach schlechtem Portwein schmeckte. So saßen die deutschen Wirtschaftsführer abends stundenlang auf ihren Zimmern oder unterhielten sich in meinem Büro. Meine Wohnverhältnisse kamen ihnen von Tag zu Tag spartanischer vor, und einer bedauerte mich ausdrücklich dafür, dass ich in diesen kärglich ausstaffierten Räumen nun Jahre verbringen sollte.
Die Delegation wartete auf ein Gespräch mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Zhou Enlai, das schon seit einigen Tagen auf dem Programm stand. Ich wusste, dass Zhou solche Gespräche am liebsten spät in der Nacht oder in den ganz frühen Morgenstunden führte. Aber wann er die deutsche Delegation zu sich bitten würde, konnte niemand sagen. Am vierten Abend, eine halbe Stunde nach Mitternacht, sah ich, dass alle Ampeln auf der Changan-Avenue gleichzeitig auf Rot geschaltet wurden. Kein Auto, nicht einmal ein Radfahrer waren zu sehen, als eine Reihe von schwarzen Limousinen an unserem Hotel vorfuhr. Zhou Enlai ließ die deutschen Gäste zur Großen Halle des Volkes abholen. Ich begleitete die Gruppe und beobachtete, wie der Ministerpräsident höflich und aufmerksam den Referaten der Deutschen zuhörte, die ihm die Leistungsfähigkeit ihres Industriezweigs und die großen Chancen eines deutsch-chinesischen Wirtschaftsaustausches schilderten. Ein wenig verblüfft waren sie, als ihnen der Ministerpräsident eine ganz einfache Frage stellte: »Die Bundesrepublik ist doch nun in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Da gibt es doch alles, was Sie brauchen. Warum sind Sie an Handelsbeziehungen mit China interessiert?« Den deutschen Gästen war eine gewisse Enttäuschung anzusehen: Selbst der Ministerpräsident, der als einer der erfahrensten und bestinformierten Männer in China galt, hatte offenbar keine Ahnung von internationalem Wirtschaftsaustausch. Zhous Mitarbeiter schrieben unterdessen alles mit, was gesprochen wurde. Es war die Zeit des Übergangs zu einer sachlicheren Wirtschaftspolitik, und das akademische Seminar, das Berthold Beitz und seine Delegation für den chinesischen Ministerpräsidenten zu veranstalten schienen, sollte am Ende tatsächlich einen wichtigen Anstoß für die Diskussion innerhalb der chinesischen Führung geben. Es half, jene Kräfte zu stärken, die auf ein moderneres, an Wirtschaftswachstum orientiertes China setzten. Aber an diesem Abend konnte niemand ahnen, dass der deutsch-chinesische Handel schon binnen weniger Jahre sprunghaft anwachsen würde.
Zhou Enlai führte in dieser Nacht, als die Delegation bereits ins Hotel zurückfuhr, mit Berthold Beitz noch ein ausführliches Gespräch unter vier Augen über Deutschland, Europa und die Weltpolitik. Die chinesischen Funktionäre im Außenministerium achteten deshalb von nun an sorgsam auf jede Äußerung, die der deutsche Delegationschef gegenüber seinen Mitreisenden machte. Und da es dabei nicht immer um die Weltwirtschaft ging, registrierten sie auch, was er über meine Hotelunterkunft und das aussichtslose Warten auf eine Wohnung sagte. Berthold Beitz meinte, ich bräuchte mir eine solche Behandlung nicht gefallen zu lassen. Wenn die Chinesen so wenig an meiner Anwesenheit interessiert seien, dann solle ich meine Koffer packen. Einem
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