Unterwelt
Wimmern. Er klopfte an die Metallplatte auf der Tür und hörte, wie Mercedes in ihren Schlappschuhen näherkam.
Sie machte auf und rief nach hinten zu Eddie: »Du rätst nie, wer da ist.«
Bronzini überreichte ihr die Zigarrenkiste, Garcia y Vega, edle Zigarren seit 1882. Er nahm seine karierte Mütze ab und gab sie ihr. Er legte den alten Überzieher mit Gürtel ab, den er billig bei Freight Liquidation gekauft hatte, wo man Fabrikrabatte bekommt, Anzüge und Kleider mit leichten Mängeln, irrtümlich geraubte Strickjacken – die hatten gedacht, es wären Zigaretten. Ergab ihr den Mantel, wedelte mit den Händen, um ihr zu zeigen, keine Handschuhe. Dann bückte er sich, um die Galoschen aufzuschnallen, und stieg, etwas schwindlig vom Bücken, heraus.
»Eddie, guck mal, er trägt Pantoffeln unter den Stiefeln. Dieser Mann ist unbeschreiblich.«
Er umarmte die Frau und den Mantel und ging ins Wohnzimmer durch, händereibend wie ein Mann, der über einen Perserteppich auf ein Kaminfeuer und einen Schwenker mit altem Brandy zustrebt. Eddie saß lächelnd da, der echte Eddie Robles, der in dem Angeber lebte, in dem gequälten Doppelgänger, arthritisch, emphysematisch, mit schwärenden Venen an den Beinen, pensioniert von so ziemlich allem.
»Heute morgen bin ich aufgewacht und wußte es«, sagte Bronzini.
»Du wußtest es.«
»Zeit für Eddies Haarschnitt.«
»Bei dem Blizzard. Du bist aufgewacht, aber aus dem Fenster hast du nicht geguckt.«
»Das ist leichter Schneefall. Altmodisch. Du solltest spazieren gehen.«
»Spazieren«, sagte Eddie. »Hast du eine Ahnung, wovon du redest? Setz dich hin, du machst mich nervös.«
»Im Sitzen kann ich dir die Haare nicht schneiden. Wo ist mein Handwerkszeug?«
»Ich dir. Du bist derjenige, der einen Haarschnitt braucht. Du solltest dir eine Geige zulegen, Albert.«
»Du willst kein Schach mehr mit mir spielen. Auf der ganzen Welt ist kein Mensch mehr übrig, den ich im Schach schlagen kann, fertigmachen – so fertigmachen, wie ich dich fertigmache. Also mußt du dich den Schachzügen des Friseurs unterwerfen. Es ist ein wunderbares Schneetreiben aus der Vergangenheit. Ach übrigens, Mercedes. Wo ist sie? Eure Türklingel funktioniert nicht.«
Sie saßen da und tranken heißen Kakao. Am liebsten hätte Albert ein Glas Fusel getrunken, und zwar importierten. Er stellte sich den warmen, zuckenden Stich von herabrinnendem Schnaps vor. Anhaltend, das war das Schöne dabei. Der schlug so zu, daß es vorhielt. Ein Schnäpschen. Beim Winterschlußverkauf waren viele Schnäpschen im Angebot. Eine spontan gemachte Momentaufnahme. Das nennt man Schnapsschuß. Oder die Wohnungstür – schnaps, schon ist sie zu. Wegen dem Schnapsschloß, dachte er.
»Türklingel. Nur die Klingel?« fragte Mercedes.
»Der Fahrstuhl natürlich. Aber das mit dem Fahrstuhl wußten wir ja schon.«
»Weißt du das mit dem Putz?« fragte sie. »Ich habe Zeitungen in die Risse gestopft. Eines Tages finden sie diese Wohnung hier, dann wissen sie genau, wann der Ärger losging, durch die Zeitungen.«
»Laß den Mann am Leben«, sagte Eddie. »Red von was anderm.«
»Mein eigener Fahrstuhl, das ist auch so ein Problem«, sagte Bronzini. »Regelmäßige Ausfälle.«
»Vier Treppen?«
»Fünf Treppen.«
»Laß den Mann am Leben«, sagte Eddie. »Fünf Treppen mit seinem Herzen?«
»Red von was anderm.«
Mercedes war massig, neigte zum Gestikulieren, schaukelte mit fegenden Handbewegungen im Stuhl hin und her, kümmerte sich aber gekonnt um den schwachen Eddie, den Angeber, den schmerzgeplagten und steifgliedrigen und keuchenden Mann. Der alte Eddie von der U-Bahn war ein robuster Bursche, der in einer Kabine saß und Tokens verkaufte, in jenem Kinodämmer mit schlechter Luft und rasselnden Zügen, immun gegen das Höllengerumpel der Expreßlinie, und jetzt pflegte sie ihn mit fachmännischer Liebe und gebieterischem Wissen, und wenn sie sich über etwas erregte, wollte sich Albert am liebsten verstecken, denn bei blanken Emotionen wurde er zum Feigling, wenn die Dinge kopfüber und direkt in Angriff genommen wurden.
»Haben sie den Stacheldraht gezogen, um uns vor den Drogendealern zu schützen. Und was ist mit dem Wasser, wenn's regnet? Kommt ungehindert rein. Meinetwegen alles, bloß nicht das Ende des Winters. Lieber frier ich. Lieber stopf ich Zeitungen in die Ritzen. Weil wenn der Schnee schmilzt.«
»Der Mann ist glücklich. Laß ihn am Leben«, sagte Eddie.
Sie holte einen
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