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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Küchenstuhl für Eddie. Sie holte die Zigarrenkiste, stellte sie auf den Tisch, machte sie auf. Sie ging weg und kam mit einem Badehandtuch wieder, das sie ihrem Mann um den Oberkörper hängte und unten über die Knie zog. Sie befestigte die beiden oberen Zipfel lose in seinem Nacken, und dann schaute sie zu Albert hinüber, der ihre Befriedigung über all die Begleitumstände teilte, über die rührigen Vorbereitungen, von grundlegender Bedeutung für das Unterfangen des Haareschneidens.
    Albert nahm die Utensilien aus der Zigarrenkiste. Er legte sie ein paar Zentimeter auseinander auf den Tisch. Den kurzen, schwarzen, gummiüberzogenen Kamm, spitz zulaufend, für die Koteletten. Den Schildpattkamm mit Griff und drei fehlenden Zähnen, auch Rechen genannt. Die wunderschöne Schere, made in Italy, seit Generationen im Familienbesitz, einer dieser Gegenstände, die unter den Habseligkeiten der Verstorbenen auftauchen und die man plötzlich mit neuen Augen sieht, ein Alltagsschatz, filigrangeschmückte Schneiden und an einem Griff ein Dorn, ein geschwungener Auswuchs, um den Mittelfinger abzustützen. Man steckt den Zeigefinger in den Griff, der Mittelfinger ruht an dem entsprechend geformten Fortsatz. Was noch? Rasierpinsel, kein Bedarf. Nasenschere, soll er seine Nase doch alleine machen. Elektrische Haarschneidemaschine, schwer und schwarz, Elk Grove, Illinois, deren Klinge immer noch ein bißchen fitzelig ist, voll mit Eddies abgeschorenen Härchen von vor sechs Wochen. Was noch? Tube mit Schmieröl für die Haarschneidemaschine. Woolworth-Kleiderbürste, weichborstig.
    Er hatte keine Ahnung vom Haareschneiden. Eddies Haare hatte er ein paarmal geschnitten, aber ohne dabei eine Methode zu entwickeln. Er hielt oft inne, um das Ergebnis zu mustern, schnippelte, trat zurück. Mercedes blieb nicht zum Zuschauen in der Nähe. Er arbeitete langsam, schnippelte. Es ging darum, dem Burschen das Haar vom Kopf zu kriegen und auf den Boden. Mercedes fand offenbar nicht, daß sie das unbedingt sehen mußte.
    »Es gibt jetzt was Neues, hast du vielleicht schon gehört«, sagte Eddie. »Heißt Weltraumbestattung.«
    »Gefällt mir jetzt schon.«
    »Die schicken deine Asche ins All.«
    »Meld mich an«, sagte Bronzini.
    »Du kannst dir deine Umlaufbahn aussuchen. Es gibt eine um den Äquator. Das ist eine Umlaufbahn. Die Erde dreht sich und du mit. Nicht du, deine Asche.«
    »Gibt es eine Warteliste?«
    »Es gibt eine Warteliste. Ich hab's in den Nachrichten gesehen. Und außerdem den Erster-Klasse-Abschuß. Der geht nach ganz weit draußen.«
    »Tief in den Weltraum.«
    »Weit draußen. Du und die Sterne.«
    »Aber du kommst doch nicht allein da rauf.«
    »Du fliegst mit ungefähr siebenhundert anderen Aschen beim selben Abschuß hoch. Menschen und ihre Haustiere. Ruf die Firma an, dann setzen sie dich auf die Liste.«
    »Und wenn man schon tot ist?«
    »Dann rufen eben deine Kinder an. Dein Anwalt ruft an. Es kommt vor allem aufs Gewicht deiner Asche an. Denn die kostet dich – rate mal.«
    »Kann ich nicht raten.«
    »Rate«, sagte Eddie.
    »Du mußt es mir sagen.«
    »Zehntausend Dollar pro Pfund.«
    Eddie brachte den Satz mit einer Endgültigkeit, in der grimmiges Vergnügen mitschwang.
    »Pro Pfund. Was wiegt man denn so in Asche, wenn man tot ist?« fragte Albert. »Ich finde, es klingt ganz vernünftig.«
    »Du findest es vernünftig. Damit verdirbst du mir meine Geschichte.«
    »Ein Pfund Asche, Eddie. Das könnte eine ganze Familie sein. Zur Bestattung im Weltraum. Auf ewig konserviert.«
    »Du verdirbst mir meine Geschichte«, sagte er.
    Albert benutzte den Rechen und arbeitete an der Oberseite des Kopfes. Er kämmte mit striegelnden Bewegungen, ließ das Haar zur Ruhe kommen, kämmte es erneut. Er liebte diese Arbeit. Hier oben benutzte er die Schere nur sparsam, denn ein falscher Schnitt konnte auffallen. Sanft zog er den Kamm durch Eddies schütteres Haar. Er hob die Haare hoch, ließ sie wieder fallen. Mercedes hatte das Radio in der Küche an, bereitete das Abendessen zu oder vielleicht das Mittagessen. Albert war in letzter Zeit etwas ungenau, was die Zeit betraf. Herzschlag, Pulsschlag, klopfender Fuß. Das war erkennbare Zeit. Er hob die Haare hoch, ließ sie wieder fallen.
    »Du vermißt die Kabine, Eddie.«
    »Ich mochte meine Arbeit.«
    »Ich weiß.«
    »All die Jahre und nicht ein einziges Mal.«
    »Du bist nie ausgeraubt worden.«
    »Nie versucht worden«, sagte er.
    Da haben wir das Genie von New York.

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