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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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bin deiner Meinung, Sims. Aber das Wort gibt es.«
    »Es gibt immer ein Wort. Wahrscheinlich gibt es auch ein Museum. Das Museum der Dunklen Mächte. Mit zehntausend unscharfen Fotografien. Oder hat die Mafia es in die Luft gejagt?«
    An dieser Stelle lachte Sims, zeigte seinen kreuz und quer vercheddarten Mund.
    Ich warf einen prüfenden Blick auf den runden Tisch. Zwei der Frauen rauchten. Zwei der Frauen trugen Westernjacken mit Nieten. Eine war kurzsichtig und steckte den Kopf in die Speisekarte, und eine hatte einen Akzent, den ich nicht unterbringen konnte. Alle Frauen waren geschmückt, trugen Ketten, Armbänder und Broschen, kreisrunde Ohrringe, an denen Perlen baumelten, Schmuck, der gehämmert aussah, gestampft geradezu, und eine kaute auf einer Möhre herum und redete von ihren Blagen. »Kannst du Italienisch?« fragte er.
    »Ich habe eine Zeitlang Latein gelernt. In der Schule und dann allein, ziemlich intensiv. Und ein bißchen in Deutsch und Italienisch reingeschnüffelt.«
    »Meine Frau ist Deutsche«, sagte er. »Hab sie kennengelernt, als ich drüben stationiert war.«
    »Ein Gl mit forschem Auftreten.«
    »Stimmt so ziemlich. Außer daß ich bei der Air Force war.«
    »Spricht sie zu Hause deutsch?«
    »Bißchen. Doch. Ganz schön viel.«
    »Und, kommst du mit?«
    »Wehe wenn nicht«, sagte er.
    Die Männer trugen breitkragige bedruckte Hemden, aufgeknöpft bis zum Brustkorb. Die Männer bestanden nur aus Haaren. Natürlich nicht den Protesthaaren der Sixties. Brusthaare, Schnurrbärte, borstige Koteletten, großartige Hollywoodschöpfe – echte Haare, die wie geschmacklose Toupets aussahen, Zottelmatten, die nichts zu wünschen übrigließen, Schmachtlocken mit schwerer Brandung.
    Big Sims verlangte die Rechnung.
    »Aber wir mögen unseren Job, nicht wahr, Nick? Egal wem die Schiffe gehören, die wir benutzen.«
    »Ich mag meinen Job.«
    »Ich mag meinen Job.«
    Sein Sportsakko hing über der Stuhllehne, war zu breit, um richtig über die Palmetten zu passen, die die oberste Sprosse zierten. Er trug ein kurzärmliges weißes Hemd mit einem dunklen Schlips und einer Krawattennadel in Form eines Krummsäbels.
    Er kniff die Augen zusammen.
    »Willst du dir ein Spiel der Dodgers ansehen?«
    »Nein«, sagte ich.
    All diese Geisterschiffgeschichten überraschten mich wenig, so sehr sie auch auf ungreifbaren Gerüchten beruhen mochten, denn am Vorabend hatte man uns klargemacht, daß Müll das bestgehütete Geheimnis der Welt ist. Das sagte jedenfalls Jesse Detwiler, der Müll-Archäologe, der etwa eine Stunde nach dem Erdstoß eine Ansprache an die versammelten Mitglieder gehalten hatte – eine Ansprache, die nicht eben gut zu gegrillten Küken und jungem Zen-Gemüse mundete.
    Zuvor, beim Cocktail, hatten unsere Gesichter noch unbefangen munter gewirkt, als der Saal ringsum bebte, und erst im Nachklang eine Spur Befangenheit gezeigt, einen verzagten Anflug unserer eigenen, kurz erspähten Angst, als wären wir ertappt worden, bevor wir wieder alles unter Kontrolle hatten, und dieser Gesichtsausdruck schwebte jetzt über den Wodka-Tonics und knüpfte im Wind der Innenräume ein ironisches Band zwischen den Managern.
    Wir sahen Detwiler in der Eingangshalle, nachdem wir gezahlt hatten. Sims ging zu ihm und nahm ihn buchstäblich in die Zange, in den Schwitzkasten, und boxte spielerisch auf seinen rasierten Schädel ein. Offenbar kannten sie sich, und wir drei verabredeten, zu einer Landaufschüttung rauszufahren, die Sims entworfen hatte, einem noch unvollendeten Großprojekt.
    Ein Mann und eine Frau gingen durch die Halle, und ich beobachtete die Frau genau. Vielleicht war es ihre Art, sich aus der Hüfte heraus zu bewegen, hochärschig und glitzernd, oberflächensensibel, wie eine alimente- und gin-getränkte Figur aus einem zweitklassigen Film. Ich ging hinüber und schaute mir das Programm auf der Staffelei bei den Drehtüren an, Anmeldung und Kaffee, Lizenzgesetze, Lagerung von verbrauchtem Treibstoff, alle Themen und Redner in weißen Einstecklettern, von zehn bis zwölf und von zwei bis fünf und weiter bis in die Nacht, und ich dachte über die Swinger und ihre Arrangements nach.
    Die Müllcracks waren auf der Innenbahn in die Zukunft. Die Zukunft des Mülls. Diesen Namen gaben wir unserer Konferenz in der Wüste. Da versammelten sich Leute aus der ganzen Branche, aber unsere Firma war die treibende Kraft, wir waren die Vorkämpfer, die Draufgänger, die Jungs, die in der Lage waren, die wahren

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