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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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suchterzeugende Lockmittel lieferten: sich in der Zeit zu verlieren.
    The Float hatte eine Schärfe, einen Mitternachtsglanz.
    Sie schauten kurz in Läden hinein, die Autopsiefotos verkauften und den Abfall von Kinostars, das echte Zeug lag tiefgefroren in Lagerhäusern – man suchte sich was aus einem Katalog aus und bestellte dann.
    Eleanor fand das Flair wunderbar, sie sprach das Wort leicht französisch aus. Kahle Dielenböden und verschmutzte Wände. Sie hakte sich bei Marvin unter, und die beiden schlenderten die Straße entlang, entdeckten ein Schild in einem Fenster im ersten Stock, Kreuzfahrt für Fußfetischisten zu Spaniens Häfen.
    Verschwimmende Zonen des Begehrens. Hier wurde das Begehren, na, zerlegt in tausend Subspezialitäten, Zweitprodukte und Extras, verführerische Einflüsterungen des Ichs. Eine Spelunke zeigte im Hinterzimmer Sexfilme, in denen Leute mit fehlenden Gliedmaßen mitspielten. Es gab schwule Abende und Hetero-Abende. Wer für Anregungen offen war, konnte sich hier treiben lassen und an seinen Reaktionen erkennen, wer er war, Scheibchen für Scheibchen die Appetithäppchen der Straße kosten. Man wurde durch seine Obsessionen definiert.
    Ein Junge kam vorbei, seine Kleider waren so zerlöchert, daß er aussah, als wollte er für Börsenticker Werbung machen.
    Ein Ort hieß Café Verschwörungstheorie. Regale voller Bücher, Filmspulen, Tonbänder, offizieller Regierungsberichte in blauen Aktenordnern. Eleanor wollte einen Kaffee trinken und herumstöbern, aber Marvin winkte ab – ein Ort zum Trockenschwimmen, nichts weiter. Er glaubte, daß die eigentlichen Quellen tiefer lagen, weniger leicht zu entdecken waren, tiefer und seichter zugleich, man brauchte sich nur Anschlagbretter und Streichholzbriefchen anzuschauen, Warenzeichen auf Produkten, Muttermale auf Körpern oder das Verhalten der eigenen Haustiere.
    Da springt einem doch was ins Auge.
    Der größte Laden lag im Erdgeschoß, ein Dutzend Männer standen herum, verstohlen, in Regenmänteln, und blätterten in alten Exemplaren des National Geographie. Hier gab es antiquarische Zeitschriften, gebraucht und benutzt, verlebt, und maschinengestempelte, tintenverschmierte, hautfettige Adressenetiketten klebten darauf, und auf den Etiketten standen die Namen und Adressen echter Menschen da draußen im Zeitschriftenamerika, und die Männer in den Regenmänteln standen neben Tischen und Kisten und lasen die Etiketten und blätterten in den Zeitschriften und schauten kein einziges Mal hoch.
    Ein Mann kaufte eine Zeitschrift und ging hastig, ließ sie unter seinen Mantel gleiten.
    Marvin glaubte nicht daran, daß diese Männer sich für Fotos von Wolfsrudeln beim Sonnenuntergang in der Tundra interessierten. Die suchten etwas anderes, vielleicht ein vergessenes menschliches Murmeln, das Gefühl von Familien in kleinen Häusern im Herzland, mit einem schlappohrigen Spaniel auf dem Teppich, das Gefühl wohliger Unschuld angesichts der unentdeckten Welt draußen, der weiten Geographie. Eine Pornographie der Nostalgie vielleicht, oder war es etwas vollkommen anderes?
    Und dann das Hinterzimmer, denn es gibt doch immer ein Hinterzimmer, ein weiteres Absplittern des Begehrens, etwas verfeinerter und persönlicher, und die Zeitschriften in dem Hinterzimmer waren doch in Plastikheftern abgelegt, oder? Vielleicht handelte es sich um seltene Ausgaben oder seltene Etiketten, vielleicht waren hier auch die Hefter selbst die Fetischobjekte, staubfurniert, benutzt, einige davon fast nicht mehr durchsichtig, ein irgendwie stumpfer Kunststoff, der leicht roch und sich prophylaktisch anfühlte, wie Kondome für Lesestoff, und vielleicht gibt es ja noch einen Raum, wo man ein Paßwort flüstern muß, und da stehen dann nur noch Hefter, leere Hefter, tausendmal benutzt, und Eleanor gruselte sich an diesem Ort zu Tode, auf so was hatte sie gar nicht zu hoffen gewagt, regenbemäntelte Männer mit Exemplaren des National Geographie, verstohlen die Etiketten befingernd.
    Auf der anderen Straßenseite sahen sie einen Laden für große Frauen, Long Tall Sally genannt, aber da gab es keine Kleider und Mäntel. »Starke Sachen für starke Frauen« stand auf dem Schild. Bücher, Filme, Utensilien – nur für große Frauen.
    Da sieht man in einer Regennacht ein paar komische Dinge in einer Seitenstraße und fragt sich, warum sie einem bedeutsam vorkommen. Marvin hatte das Gefühl, es gäbe hier etwas, vielleicht ein frühes Anzeichen für das allmähliche

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