Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
Vom Netzwerk:
Zunge herausstrecken, das schafft er noch, und bis der Rollstuhl da ist, kann der Polizist nicht viel machen, also stellt er sich eben in den Gang und schaut das Spiel zu Ende an.
    Thomson in seiner gebeugten Haltung, Kinn eingezogen, wartend.
    Russ sagt: »Einer aus, zweite Hälfte des neunten.«
    Er sagt: »Branca wirft, Thomson läßt den Wurf durch, den der Schiedsrichter als gerade noch gut gibt – Strike.«
    Er verstärkt die Dezibel bei dem Wort Strike. Pausiert, damit sich die Reaktion der Menge aufbaut. Nie gegen die Menge anreden. Laß die Spannung von denen kommen.
    Diese großen, üppigen Seiten, die von der oberen Tribüne regnen.
    Lockman steht bei der Second Base und versucht, einen Treffer auf Thomsons Schläger zu wünschen. Vielleicht war das der Wurf, den er haben wollte. Auf Hüfthöhe, nah am Körper – so einen guten kriegt er nicht mehr zu sehen.
    Russ sagt: »Bobbys Trefferquote steht dieses Jahr bei neunundzwanzig Prozent. Er hat heute einen Single und einen Double geschafft und den ersten Run der Giants mit einem langen Flugball ins mittlere Außenfeld nach Hause gebracht.«
    Lockman schaut über das Innenfeld zur Home Plate. Der Double, den er geschlagen hat, wirkt immer noch in ihm nach, knattert in seiner Brust weiter, eine Körpererinnerung, die den Augenblick nachspielt. Er lugt in das Dreieck, das sich zwischen den Knien des Fängers auftut. Er sieht die nach unten stoßenden Finger, die stumpfe Hand bei einer Wedelbewegung nach oben links. Die werden ihm zuerst einen hohen, nahen Fastball geben und dann mit einem Kurvenball von ihm weg nachsetzen. Ein hübscher Zweiteiler, das Manöver. Sieht von hier aus leicht und locker aus.
    Russ sagt: »Brooklyn führt vier zu zwei.«
    Er sagt: »Läufer nicht allzu weit von der Third Base weg. Geht kein Risiko ein.«
    Thomson denkt, das geht alles zu schnell. Denkt, schnelle Hände, guck auf den Ball, nur Mut.
    Russ sagt: »Lockman ohne allzuviel Vorsprung bei der Second Base, aber gleich wird er laufen wie der Wind, sobald Thomson einen Treffer landet.«
    J. Edgar Hoover auf seinem Logenplatz zupft sich eine Zeitschriftenseite von der Schulter, wo das Ding gelandet und liegengeblieben ist. Zuerst ärgert er sich, daß sein Körper damit in Berührung gekommen ist. Dann fällt sein Blick auf die Seite. Die Farbreproduktion eines Gemäldes voller mittelalterlicher Figuren, die sterben oder tot sind – eine Landschaft der visionären Verwüstung und Katastrophe. So ein Bild hat Edgar noch nie gesehen. Es geht über die ganze Seite, dominiert sicher die ganze Zeitschrift. Skelettarmeen auf dem Marsch über die rotbraune Erde. Männer, von Lanzen durchbohrt, am Galgen hängend, auf die Speichen von Rädern geflochten, die an den Spitzen kahler Bäume befestigt sind, Leichen, den Krähen ausgeliefert. Legionen der Toten, die sich hinter Schilden aus Sargdeckeln formieren. Der Tod selbst rittlings auf einer klapperdürren Mähre, er giert nach Blut, hält seine Sense bereit, während er die Leute in besessenen Schwärmen auf den Eingang irgendeiner Höllenfalle zutreibt, einer seltsam modernen Konstruktion, die ein U-Bahntunnel sein könnte oder ein Büroflur. Ein Hintergrund aus Aschehimmeln und brennenden Schiffen. Edgar ist klar, daß die Seite aus dem Life – Magazin stammt, und er versucht, sich in Rage zu bringen, er fragt sich, warum ein Magazin, das das Leben im Namen führt, ein so schauriges, schreckliches Gemälde abbildet. Aber er kann den Blick nicht von der Seite lösen.
    Russ Hodges sagt: »Branca wirft.«
    Gleason gibt ein Geräusch von sich, halb Seufzen, halb Stöhnen. Wahrscheinlich ist es ein Schnauben, ähnlich dem Rauschen der Brandung an irgendeinem Palmenstrand. Edgar erinnert sich an den Ausbruch vorhin, Jackies kleinen Hustenanfall. Da vermutet er tiefere Verstrickungen. Er begibt sich auf den Gang und zwei Stufen höher, auf Abstand zu den bevorstehenden Entladungen animalischer, vegetabiler und mineralischer Materie.
    Kein guter Wurf zum Schlagen, eher hoch und innen, aber Thomson schwingt den Schläger wie einen Tomahawk gegen den Ball, und alle, alle schauen zu. Außer Gleason, der auf seinem Sitz vornüber hängt, die Hände im Nacken verschränkt, ein cremiger Schleimfaden baumelt von seinen Lippen.
    Russ sagt: »Das ist aber ein weiter Schlag.«
    In seiner Stimme ist ein Knallen, eine erwartungsvolle Aufladung.
    Er sagt: »Das wird noch.«
    Rings um ihn eine Pause. Pafko rast in die Ecke des linken

Weitere Kostenlose Bücher