Unterwelt
zufällig vorbeikommt, nach dem Motto, Fast immer zu spät, aber macht fast nie was.
Er trug normalerweise Jeans und Stiefel aus Eidechsenleder, er hatte schlechte Haut und eine wunderschön gebogene Nase und trug sein Haar gerade zurückgekämmt, und er wohnte in anderthalb Zimmern auf der Upper West Side mit lauter Filmspulen und hatte die Dinge seines Lebens immer noch in Kisten – nur so Dinge, ja, das Zeug, das man mitschleppt und aufhebt, weil es eine Art geistiger Krimskrams ist, mit dem man sich wohlfühlt.
Er hatte einen Teilzeitjob bei einem Filmverleih und produzierte auch Dokumentarfilme, oder er koproduzierte sie oder führte die Telefonate, und diese Beschäftigung war gerade schräg genug, um immer wieder von neuem aussichtslos zu sein. Er arrangierte außerdem Vorführungen für einen Filmclub. Und er sah alles, sammelte Kinoplakate und konnte die Filmographien der obskursten Regisseure aufsagen, denn je obskurer die Gestalt, desto wertvoller natürlich das Wissen. Das war in der Branche immer Ehrensache.
Und in diesem Sommer versuchte er, die Finanzierung für einen Dokumentarfilm zusammenzukriegen, über eine Frau, die die Krankheiten und Malessen der Stars bekam. Durch eine merkwürdige Form von Neurohypnose, oder wie immer der Ausdruck lautete, hatte diese Frau – sie lebte in Normal, Illinois, was sie unwiderstehlich machte – jedes einzelne Symptom der Krankheit, an der Elizabeth Taylor gerade litt, oder John Wayne oder Jackie Onassis oder ein beliebiger Star, das ging von einer grippalen Müdigkeit bis zu den Hautausschlägen von Herpes simplex und dem ausgezehrten Erscheinungsbild von Krebs.
Moderne Stigmata. Und Ärzte, von der Regenbogenpresse gesponsert, untersuchten sie. Und Miles' Titel für den Film, falls er ihn hinkriegte, lautete schlicht und einfach – Normal Illinois.
Ihr Haar fiel ungehindert zu beiden Seiten ihres Gesichts herab, mehr oder weniger gepflegt, unten irgendwie abgesäbelt und oben am Scheitel unübersehbar ergrauend. Sie hatte Augen, die weit auseinander lagen und leicht vorstanden, und ihre Brauen zogen sich schräg zu den Schläfen. Sie sah scheu aus – nicht scheu, eher zurückgezogen, und wer sie in jenem Sommer allein auf einem Dach sah, hätte es sich zweimal überlegt, bevor er mit irgendwelchem Smalltalk angekommen wäre.
Es war der Sommer des Wetterleuchtens und des Rotweins, dunkler Bordeaux, der aussah wie Löwenblut, und sie stand auf Dachgärten und Dachterrassen und fragte sich, wie all das schon so lange da sein konnte, ohne daß sie davon wußte.
Sie liebte die Doppeldecker-Skulptur auf einem Dach downtown, vielleicht ein altes Postflugzeug im Originalmaßstab, mit Landepiste und Lichtern. Und die Stufenpyramide auf einem Haus in der Wall Street und den maschinell produzierten Kirchturm des Chrysler Buildings und die Südfassade vom Hotel Pierre, wie ein skandiertes Stück Pariser Dachlandschaft, nur vielfach in die Länge gezogen, Zeile um Zeile himmelwärts geschossen.
Ihr wurde bewußt, wie selten man sieht, was vor einem steht, ein neuartiges Grundgefühl im zermürbenden Leben der City – über einen abgemessenen Raum hinwegzuschauen, ungestört von Schildern und Ampeln und Taxis und Gerüsten und von seinem eigenen beklecksten Geist, der die Datenmenge sortiert, ungestört von der Energie, die hektische Leute verbreiten, Mittagspausengewühl und Busse und Fahrradkuriere, all das Bewußtsein, das die Schluchten von Manhattan entlangdüst, so daß es unmöglich wird, über eine Straße hinweg die türkisfarbenen Kacheln einer Terracotta-Fassade zu erkennen oder ein geflügeltes Wesen, das über einen Türsturz gemeißelt ist.
Klara führte Zwiegespräche mit ihrem Körper, erinnerte sich daran, bevor sie aus einem Sessel aufstand, wo sie eigentlich hingehen wollte, vielleicht in die Küche, wegen eines Löffels, und wie sie genau dort hinkam. Sie mußte ihren Körper in einer Situation orten, sich selbst mitteilen, wo sie war, sich manchmal umschauen, als säße sie womöglich noch in dem Sessel.
Sie hatte einen vollen Mund, der zu vorgewölbt und schmollend war und außerdem leicht schief, entworfen, um à part zu sprechen, und ihre Stimme hatte tonale Sprünge, die interessant waren, sie hatte Tiefen und Höhlen und einen rauhen Sog.
Ich und meine Freundin Rochelle, die mir das Rauchen beigebracht hat.
Sie trank ein Glas mit ein paar Leuten auf einem hohen Dach, das mit Obstbäumen und Scharlachbohnen bepflanzt war, und sie
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