Unterwelt
war, der einen Raum vorbereitete, der sich Zeit für sie nahm und ihren Namen sagte und beiläufiges Schulterklopfen weitergab, ganz gleich, aus welcher unbestimmten Quelle.
Es half aber nicht immer. Wenn Klara Lob hörte, klang es schwach und zaghaft in ihren Ohren, schlecht eingeübt, und wenn sie in der Presse oder durch die vertraute Buschtrommel von Gerüchten und Halbnachrichten kritisiert wurde, mußte sie gegen das Gefühl ankämpfen, die anderen könnten recht haben und sie mache wirklich seichte und harmlose Sachen, die man zu Recht abtun durfte.
»Das ist Darwins ›Fressen und gefressen werden‹«, pflegte Esther gern zu sagen, unablässig, genüßlich, denn sie wußte, es machte Menschen wie Klara angst.
Sie liebte die in der Ecke gestapelten Dielenbretter. Braungemasertes Holz, triefnaß wirkendes Dunkelbraun, ähnlich den Faßtürmen auf den Dächern, den wassergefüllten Tanks, die den Elementen meistens schutzlos ausgesetzt waren, manchmal aber auch umschlossen von kunstvollen, kirchenartigen Bauten mit Spitzbögen und großartiger Adlerornamentik.
Die Leute sagten nicht mehr Oh wow. Sie sagten statt dessen vergiß es, und sie fragte sich, ob sie davon irgend etwas lernen konnte.
Sie sah ihre Freundin Acey Greene im Fernsehen, eine neue Freundin, jung und talentiert, spätnachts beim Interview auf einem lokalen Kabelsender. Sie sah spitze aus – du siehst spitze aus, dachte Klara. Diskret afrogewellt, in zerrissenem Abendjackett und mit roter Fliege.
Miles rief an, und sie traf ihn in einem alten Segelmacher-Loft downtown. Seine Filmgruppe zeigte seltene Sachen, die aus dem einen oder anderen Grund meistens nicht in den Kinos gezeigt werden konnten, und die Vorführungen waren der reinste Wanderzirkus – je nachdem, wo Miles sich gerade wieder einen Raum sichern konnte.
Fünfzig oder sechzig Leute waren da, um sich einen Film von Robert Frank anzuschauen, Cocksucker Blues, über die Amerikatournee der Rolling Stones.
Klara saß im Dunkeln und löffelte Joghurt aus einem Karton. Ihr fiel auf, daß sie schon seit einiger Zeit Mick Jaggers Mund sah, egal wo sie hinging. Vielleicht war dieses scheele Schmollen, das einen auf der Straße verfolgt, das Kollektivlogo der westlichen Welt – sie schaute ihm gerne beim Tanzen und diabolischen Herumstolzieren zu, sah den Mund aber als etwas Separates, sozusagen wegen des Effekts später hinzugefügt.
Sie erklärte es Acey, die neben ihr saß, sie sagte: »Ich glaube, alles, was wir alle in den letzten zehn Jahren gegessen haben, ist in diesen Mund gewandert.«
Sie mochte das verwaschene blaue Licht des Films, eine Art Dämmerlicht, ein Tunnellicht, das die Wirklichkeit unzuverlässig erscheinen ließ – eigentlich überhaupt nicht unzuverlässig, denn es fällt nicht schwer zu glauben, was man sieht – oder vielmehr subversiv, verderberisch und ruinös, ein wunderschönes Tunnelblau.
»Du mußt den Mund wie eine Satire interpretieren«, sagte Acey.
Kokainschnupfen hinter der Bühne oder in den Tunnels und Leute, die in einem Zimmer herumsitzen oder in einem Flugzeug schlafen, dieses Gefühl am Rand der Zeit, halb verschluckte Bemerkungen, eine Zigarette in irgendeinem Mund, noch nicht ganz bewegungsfähige Leute, und sie mochte den flüchtigen Klang, den weitgehend dokumentarischen Klang, diese Art Vorbeiflugfilm, der von den Kachelwänden abprallt, den Hohlziegelwänden in Garderoben und Stadiontunnels.
Irgendwer sagt, Oft filmt er mich aus einem ungünstigen Blickwinkel.
Und sie begriff, ja, sein Mund ist vollkommen satirisch, er ist karikaturesk, eine Art redender Anus aus den Anticomics der Sixties, und praktisch all der Hohn und Spott, den wir von uns gegeben, all die Halbsätze, die wir gemurmelt haben, sind aus derselben Körperöffnung gedrungen.
Acey sagte: »Ich habe sie in San Francisco gesehen, das ist dieselbe Tour, das muß sie sein, vor zwei Jahren war das.«
Schmeißt den Hotelfernseher vom Balkon.
Gemurmelte und verwischte Interviews, die schlichtesten der aufrichtigen, eingeübten Fragen entglitten und wurden erwogen und entglitten wieder, die Tournee ist eine Reihe unvollendeter Bemerkungen, und ein Mann und eine Frau ficken im Flugzeug, und der Mund kaut Essen, der abziehbare Selbstklebe-Mund, Mick bei Stroboskop und Blitzen im Konzert, wie der Multimund einer de-Kooning-Frau, die am Handmikro nuckelt.
Die Kameraphalanx in den Tunnels. Herumsitzende Leute, zwei davon verknäult schlafend oder auf einem Trip oder
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