Unterwelt
beobachteten eine Frau, die oben auf einem Büroturm auf einem Laufband joggte, und es gab ihnen allen ein glückliches Gefühl, die Joggerin in ihrem neonfarbenen Trainingsanzug und die mittelalterlichen Türmchen in der Ferne und die Fabrikschornsteine dahinter und dann der Fluß, der kurz hinter Brooklyn seidig dalag.
Klara hatte einen schlanken Hals und trug eine Kette mit einem Amulett aus Nordafrika, einem Glücksbringer, den ihr zweiter Mann Jason ihr geschenkt hatte, als sie sich scheiden ließen.
Miles hatte originelle italienische Karten und brachte ihr ein Spiel namens scopa bei. Sie spielten es spätabends, nach dem Essen und einer Session im Bett, vor den hohen Fenstern ihres Lofts und den sich kreuzenden Stufen der Feuerleitern, hinter denen sich weite Ausblicke in die Seitenstraßen auftaten.
Er fragte sie nach dem Stapel Dielenbretter in der hintersten Ecke. Dielenbretter, Sackleinen, Tauenden.
Sie kannte einen ehemaligen Schüler, der Materialien für sie sammelte. Sie hatte ein paar Jahre lang Bildhauerei unterrichtet, und einer ihrer jungen Männer ging in leerstehende Häuser, in Bootswerften und Glasereien, er stöberte in den Außenbezirken herum, ging zu Autowerkstätten und Bowlingbahnen, einmal kam er mit einem Dutzend alter Kissen aus einem vermauerten Hotel zurück, graubefleckt von wer weiß wie vielen durchreisenden Köpfen – so traurige und gespenstische Gegenstände in der Wohnung.
»Macht es dir nichts aus, unter demselben Dach zu wohnen und zu arbeiten?«
»Es ist ein- und dasselbe«, sagte sie.
»Mußt du denn nicht mal davon wegkommen? Dieses ganze Zeug hier drin. Du kannst nicht entkommen. Es ist überall, und es ist Arbeit, und du mußt es dir die ganze Zeit anschauen.«
»Ich liege hier mit einem, dessen eigene Bleibe.«
»Ich weiß, aber ich arbeite ja nicht dort. Höchstens telefoniere ich mal. Mehr läuft nicht in Sachen Arbeit. Wir zeigen demnächst was, das dich interessieren wird. Nächste Woche. Ich ruf dich an.«
»Gut. Kino.«
Sie schwamm leidenschaftlich gern, sie ging fast jeden Tag ins Fitneßstudio des YWCA und kraulte kaum sichtbar durchs Wasser, überließ sich den Schwimmzügen, den beruhigenden Beckenlängen, monoton und erholsam, wie das Aufsagen in der Volksschule – verstärkt dein Gefühl dafür, wer du bist.
»Die Sache mit dem Sommer ist die, du meinst, du hast die Stadt für dich allein.«
»Ich würde gern für ein paar Tage nach Sagaponack fahren. Aber Esther möchte, daß ich ihr die Bronx zeige, bevor sie mich dorthin einlädt.«
Irgendwann ging ihr auf, daß das Kartenspiel, das sie mit Miles spielte, mit den teuren Karten und den kunstvollen Buben und Damen, Bildern von einem gewissen finsteren Minimalismus – sie begriff allmählich, daß scopa dasselbe Spiel war, das sie die Jungen vor der Tür des Hauses hatte spielen sehen, in dem sie lebte, als sie mit Albert verheiratet war, sie waren Alberts Schüler, einige von ihnen, Mr Bronzinis Jungs, und sie spielten das Spiel natürlich mit ganz gewöhnlichen eselsohrigen Karten und nannten es Besen.
»Was gibt's in der Bronx?« fragte er.
»Sie sucht nach einem Jungen. Graffitikünstler.«
»Graffitimaler.«
»Ja, na ja, dieses Gemale ist inzwischen überall.«
»Sag mir Bescheid, wenn ihr ihn findet«, sagte Miles. »Wozu?«
»Ich denke da an einen Film, bei dem wir so einen Jungen Tag und Nacht begleiten, in die Farbengeschäfte, in die Eisenbahndepots, in die Züge.«
»Klingt wie ein Film, der schon gemacht worden ist, selbst wenn es ihn noch gar nicht gibt.«
»Gibt's noch nicht«, sagte er. »Was ist denn mit Normal, Illinois?«
»Wir kommen voran, rackern, damit wir Subventionen kriegen. Aber sie ist krank geworden.«
»Klar ist sie krank. Das ist doch ihr Ding, oder?«
»Ich meine, richtig krank. Unabhängig von anderen Quellen«, sagte er.
Aber die Schwimmzüge waren effektiver, wenn sie mit einem Projekt beschäftigt war. Schwimmen machte ihr bei weitem nicht so viel Spaß, wenn sie nichts zu tun hatte. Die Schwimmzüge waren eine Verbindung zu harter Arbeit, das Intervall, das die Oktave vollendet.
Wenn Esther einen Rat gab und Klara ihn befolgte, dann hätte es ein Element gegenseitiger Herablassung geben müssen. Denn Esther war normalerweise anmaßend und Klara ein bißchen lässig und glatt. Aber eigentlich brauchte sie ihren Rat, egal was Esther zu sagen hatte. Esther sagte eine ganze Menge unnützes Zeug, aber Klara brauchte die Gewißheit, daß da jemand
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