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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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ist marode, und sie husten wahre Schleimgewitter aus, und es gibt nur einen Kick daran, sie zu kennen, dachte Klara, nämlich zu spekulieren, wann sie wohl den Löffel abgeben.
    Sie trug einen Verband am Finger und wartete, daß Miles mit ihren Zigaretten aufkreuzte, denn er war verläßlicher als sie.
    Vorerst schnorrte sie eine von Jack.
    Und die Leute auf der Straße, wann fiel Klara zum ersten Mal auf, daß die Leute Selbstgespräche führten, laut redeten, so viele und ganz plötzlich, oder Drohungen ausstießen oder fuchtelnd daherliefen, so daß die Straßen plötzlich etwas Spätmittelalterliches bekamen, was vielleicht bedeutete, daß wir wieder ganz neu lernen mußten, unter Verrückten zu leben.
    »Du hast da ein Aua, Klara.«
    »Du darfst es nicht küssen, geh weg.«
    »Ich will es gar nicht küssen. Ich will es lecken«, sagte Jack.
    »Wohnt da eigentlich wer, ich bin unglaublich neugierig, etwas über dieses Ding da drüben auf der anderen Straßenseite zu erfahren.«
    »In dem kleinen griechischen Tempel? Ich glaube, das ist ein Büro.«
    »Da würde ich wahnsinnig gern arbeiten.«
    »Import-Export.«
    »Ich könnte beides.«
    »Ich auch. Ich will es aber lecken«, sagte er.
    Acey hatte ein ovales Gesicht und eine hohe Stirn. Ihr Haar war einen Hauch zimtfarben getönt. Wenn man sie anschaute, etwa auf der anderen Seite des Gangs im Bus, und bei jeder zweiten Haltestelle lugte man verstohlen rüber, dann wahrscheinlich wegen ihres Mundes. Sie hatte einen harten, einen cleveren Mund – mit einer leichten Verzerrung, die man wohl spöttisch nennen würde, obwohl der Blick sich die ganze Zeit veränderte und abmilderte und ihrem Lächeln etwas Verwehtes gab, wie eine unerwartete Nachricht.
    »Ich mußte meinen Mann nicht verlassen, um zu malen«, erklärte sie Klara. »Ich mußte ihn verlassen, weil ich nicht mehr bei ihm sein wollte.«
    »Wo lag denn das Problem?«
    »Er ist ein Mann«, sagte Acey.
    Klara bemerkte auf halber Brücke, wie die jüngere Frau den Menschenbetrieb musterte, die Fahrradfahrer und Jogger und was sie anhaben und wer sie sind und was sie gemeinsam aus einer Art Darstellungs-Ich entwickeln. Nicht wie Chicago, sagte Acey, wo der Betrieb am See aus lauter undistanziertem Schweiß besteht, aus Leuten, die platzen vor Lust, zu joggen und die Hülle aus Büro und Job abzustreifen, diese abnorme Wolke aus Materie. Hier ist die Hülle das, worin sie sich befinden, die knackige Skyline im Gesamtüberblick, und anscheinend war sie bereit dafür, die gute Acey.
    »Und jetzt bist du hier. Vielleicht endgültig. Das Gefühl, neu anzufangen, muß doppelt intensiv für dich sein.«
    »Wahrscheinlich hab ich schon vor langer Zeit neu angefangen. Im Grunde unmerklich für alle außer mir.«
    »Machst du dir Sorgen über die Konsequenzen?«
    »Der Trennung? Das war nötig. Würd mir Sorgen machen, wenn nicht.«
    »Und was ist mit deinem Mann?«
    »Ja, was ist mit ihm?«
    »Weiß nicht. Was ist mit ihm? Weiß er, daß du mit Frauen schläfst?«
    »Er steht auf Lesben. Ich hab ihm gesagt, du James, ich schick dir n' paar Action-Fotos, Baby.«
    »Du bist ein Gangster«, sagte Klara.
    »Gangsterbraut. Gangbraut. So haben sie mich in L.A. genannt. Weißt du, die Blackstone-Bilder. Mittelklasse-Negergroupie.«
    »Sehr hübsch. Mich haben sie die Pennerin genannt.«
    Sie lachten und gingen nach Brooklyn rüber, wo Acey in einem alten Lagerhaus nicht weit von der Brückenauffahrt arbeitete. Sie wollte ihre augenblickliche Arbeit nicht verfrüht zeigen, und sie machten nur einen Rundgang durchs Atelier. An der Wand hing ein Marilyn-Monroe-Kalender mit dem berühmten frühen Pin-up-Foto namens Miss Golden Dreams, eine Aufnahme des nackten Körpers aus der Vogelperspektive, wie er auf einem samtigen blutroten Bettlaken posierte.
    »Das kann ja wohl nicht zufällig hier sein, oder?«
    »Na gut, ich schau halt manchmal drauf«, sagte Acey.
    »Und denkst drüber nach.«
    »Ich kriege es für mich auf die Reihe, Stück für Stück für Stück.«
    »Interessant. Aber wie ich höre, machst du ja etwas völlig anderes.«
    »Ach ja? Was hörst du denn so?«
    Und Klara wedelte mit einem Arm zur hinteren Wand, wo auf einem niedrigen Regal oder auf Staffeleien befestigt Leinwände standen, einige davon mit Streifen aus Zeichenpappe, die Klara schon vorhin erspäht hatte – Pappe, die an eine unfertige Arbeit geklebt war wie ein Farbfächermuster.
    »Ich höre, du machst eine Black-Panther-Serie.«
    Acey setzte ihr

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