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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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verächtliches Lächeln auf, langsam und ausgefuchst.
    »Ach ja? Und soll ich dir mal was sagen? Das höre ich auch.«
    Dies sollte doch eigentlich das nachmalerische Zeitalter sein, dachte Klara, und da hatte sie eine junge Frau vor sich, die mit Volldampf malte, eine schwarze Frau, die schwarze Männer malte, großzügig, doch nicht ohne eine gewisse kritische Strenge. Das Gockelstolzieren der Gangs, eine Kultur von nahezu fürstlichem Hochmut, aus der natürlich zugleich eine unverblümte Drohung sprach, und genau das untersuchte Acey chirurgisch, jede Einzelheit, sie schaute nach Spuren des Einzelgängers, des jungen Mannes, isoliert von seiner eigenen launischen Pose.
    Sie gingen über die Brücke zurück.
    »Nennen sie dich immer noch so? Die Pennerin?«
    »Nicht mehr so oft«, sagte Klara. »Damals gab es ein paar von uns. Wir nahmen Schrott und hoben ihn für die Kunst auf. Was edler klingt, als es war. Es war nur eine Art und Weise, sich die Dinge etwas sorgfältiger anzuschauen. Und ich tue es immer noch, nur gehe ich jetzt vielleicht etwas tiefer.«
    »Das ist nicht mein Ding. Vielleicht mißtraue ich der Notwendigkeit eines Kontexts. Verstehst du?«
    »Denk schon.«
    »Weil ich es bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen kann. Du nimmst dein Objekt aus dem staubigen, schlampigen Atelier und bringst es in ein Museum mit weißen Wänden und klassischen Gemälden, und in diesem Kontext wird es zu einer kraftvollen Sache, es wird zu einer Art Argument. Und was ist es im Grunde? Altes industrielles Fensterglas und Sackleinen. Das wird sehr, was weiß ich, philosophisch.«
    Sie erreichten die andere Seite, und Acey wollte noch ein bißchen laufen, und Klara war ziemlich erledigt. Sie schauten sich alte Segelboote an, die vor der South Street ankerten. Klara versuchte, die kleine Verletzung beiseite zu schieben, die kleine, verzögerte Enttäuschung, daß Acey ganz beiläufig ihre Arbeit herabgewürdigt hatte. Zuerst verzögerte sie ihre Reaktion, dann versuchte sie, sie zu ersticken.
    »Ich war so 'n Mädchen«, sagte Acey. »Ich hatte es immer eilig, erwachsen zu werden. Und jetzt bin ich wohl offiziell angekommen. Diese Stadt ist die tickende Uhr. Macht mich panisch, aber ich bin bereit.«
    Was Klara am meisten bewunderte, war die anscheinende Leichtigkeit im Auftreten, die beiläufig hinreißende Art und Weise, wie Acey Farbe auftrug, Satte Grundierungen und wunderschöne braune Fleischtöne, Hautstriche in jeder unbenennbaren Schattierung, und auch viele Graus, gelblich-grün und himmelrauchig, denn es ist immer Winter in Chicago, und die Gangmitglieder gehören zu ihrem Revier, zu den blassen Backsteinen und den vereisten Fenstern, und in diesem Sinne könnten sie Brüder der olivhäutigen Männer im freskenbemalten Dämmer einer umbrischen Kirche sein – Acey hatte das ruhige, düstere Auge eines Cinquecentista.
    Sie sprach am Telefon mit Esther Winship. Esther sagte: »Du lieber Gott, warum?«
    »Weil es einfacher und schneller ist.«
    »Aber ich bin seit dreißig Jahren nicht U-Bahn gefahren.«
    »Gut. Ich will mich überlegen fühlen.«
    Sie nahmen die Dyre-Avenue-Linie. Der Zug war außen und innen mit Graffiti markiert, hingeknallt und deprimierend, fand Klara. Sie mochte die Idee, Züge zu signieren, nicht. Es war eine Ego-Romanze, arme Kids, die eine Phantasie von trügerischem Ruhm ausspielten.
    »Ich dachte, es würde drückend heiß sein«, sagte Esther. »Ich dachte, ich würde auf meinem Sitz ersticken.«
    Sie sagte das mit grimmigem Flüstern, voller Angst, jemand könnte mithören und irgendwie beleidigt sein. In der U-Bahn haben die Worte etwas Aufgeladenes, das ihnen sonst nicht eigen ist.
    »Es heißt Klimaanlage«, flüsterte Klara zurück.
    »Ich bin vollkommen sprachlos.«
    Esther gefiel es, wenn sie dümmlich und hoffnungslos altmodisch klang – es fixierte sie in einem sichereren Bezugsrahmen.
    Beim zweiten Halt in der Bronx nahm der Zug neue Passagiere auf, und ein anderer Zug fuhr Richtung downtown ein, und Klara verspürte einen Rippenstoß. Das war Esther, die einen Ellenbogen ausfuhr, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, denn der andere Zug war einer von ihm, von Moonman, jeder Wagen top-to-bottom bemalt mit seinem Namen und seiner Straßennummer, der 157. Und Klara mußte zugeben, dieser Junge wußte Wirkung zu erzielen. Der Zug schlingerte in die alte, trübe Station wie ein ausgemaltes Bilderbuch der Wunder. Die Buchstaben und Zahlen explodierten einem geradezu ins Gesicht,

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