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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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wolkigen Blick, der die beiden auf dem Vordersitz so sehr ablenkte, daß sie schließlich aufhörten und zuschauten. Es war gerade hell genug zum Zuschauen. Das ging bis an die äußerste Grenze dessen, was ein Mädchen gerade noch mitmacht, selbst eine mannstolle Motte wie Rochelle. Der Rücksitzbubi war inzwischen ein Häufchen Panik, und in Rochelles Blick lag ein vertrackter Verrat, er war wolkig und grausam und kalt, und er schien Klara zu sagen, daß ihre Freundschaft, die beste und tiefste, die es nur geben konnte, gerade in eine merkwürdige, verstörende Phase geriet, dieses verworrene Ding mit den Männern und dem Sex und den eigenen Bedürfnissen. Da war ein Gewusel aus Händen und Knien und das ganze Zeugs mit Rücksitzen und Körperstellungen und was man anhat, das grapschige Aufflammen von Sex im Dunkeln. Sie hörte einen Hosenbandgummi schnalzen. Sie glaubte tatsächlich zu hören, wie der Finger des Jungen in die fleischige Tasche zwischen Rochelles Beinen eindrang, ein tastendes Meeressaugen, das Nässen, das Sabbern langer, betäubender Küsse, und der Moment, wenn man eine Haarsträhne im Mund hat, die man nicht richtig zuordnen kann, und plötzlich und bitterlich war klar, daß Rochelle das schon mal gemacht hatte, nicht zum ersten Mal so weit ging, so weit und noch weiter, was für ein Schock für Klara, solche Erfahrung in den Augen ihrer besten Freundin zu entdecken, und sie schaute in klinischer Starre zu, schaute und hörte zu – wie machtvoll ist ein Geheimnis, wenn es jemand anderem gehört.
    Jetzt wußte sie, was die Leute mit Erfahrung meinten, wie sie das Wort Erfahrung benutzten, und es bedeutete nicht Sex, sondern Wissen, und dieses Wissen gehörte nicht ihr, sondern ihrer Freundin – wie es in ihren Eingeweiden herumrumorte und ihr das Gefühl gab, grünschnäblig und dumm zu sein.
    Sie hörte Rochelle etwas murmeln wie, Wird Zeit, den Gummi aus der Tasche zu holen, Bob, vielleicht sagte sie auch Rob, doch statt der blassen, dehnbaren Hülle nahm der Junge das lebendige Ding raus, steif und pulsierend und ultraviolett, da war es, plötzlich aufgeknöpft und draußen in der Welt, ungefähr so geartet, wie es sich Klara vorgestellt hatte, aber so heiß und wirklich, so unabhängig lebendig und losgelöst von seinem Besitzer, seinem Halter, seinem Träger, und Rochelle war nervös, weil der Junge keinen Gummi hatte, und Klara war nervös, weil die Japaner womöglich in China einmarschierten.
    Miles mischte die Karten und hörte zu.
    Und im alles entscheidenden Augenblick schaute Rochelle Abramowicz über die Schulter des Jungen hinweg in die Augen von Klara Sachs und sagte nachdenklich, Was denkst du, wofür steht das F?
    Und Klara fragte, Welches F?
    Und Rochelle sagte, Das F in Fred F. French.
    Das war ein guter Spruch, vielleicht der beste, der je gesagt worden war, bis damals oder heute, unter diesen Umständen jedenfalls, und er machte wieder Freundinnen aus ihnen. Sie lachten sich, wie es so schön heißt, kaputt, sie lösten sich praktisch in ihre einzelnen Bestandteile auf, in Atome und Moleküle, zwei Mädchen in einem Gangster-Packard, vorausgeweht in der Zeit, und Klara stand auf dem Dach, nippte lauwarmen Wein und hörte die Leute sagen, Wir brauchen Theater, und sie wußte, sie würde Miles diese Geschichte erzählen, und sie wußte auch, daß sie nie wieder eine Freundin wie Rochelle haben würde oder eine Mutter wie ihre Mutter, wenn sie schon dabei war, und sie schaute über Simse und Geländer hinweg zu dem alten Wolkenkratzer mit der massigen Leibesmitte und der sonnenexplodierten Täfelung, zehn Straßen weiter nördlich, und sie dachte, wie wundervoll, was für ein Wunder des Zufalls, unverhofft auf eine Erinnerung zu stoßen, die auf der Höhe eines glasierten Mosaiks schwebt, hoch auf einem Turm in Midtown – das alte Sonnenrad, das einem Glück bringt.

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2
    D ie Dichter der alten Völker der Senke erzählten Geschichten über den Wind.
    Matt Shay saß in seinem gemütlichen Eckchen in einem Betonraum, der etwa die Größe eines Basketballfeldes hatte, irgendwo unter den Gipshügeln des südlichen New Mexico.
    Diese Operation hieß Die Tasche.
    Es gab Leute hier, die sich nicht sicher waren, ob sie an Waffen arbeiteten. Sie hatten mit Forschungsprojekten zu tun und wußten nicht genau, was mit ihren Entdeckungen passierte, ihren Simulationen, den Ergebnissen, auf die sie stießen oder die sie vorhersagten. Dies ist eines der untergründigen Leitmotive im

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