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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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die Veranstaltung letzte Nacht schien über der Landschaft zu liegen, während Matty Richtung Westen auf der Interstate io fuhr, durch eine Stadt namens Deming, was natürlich Erics Familienname war, wie klebrig war doch die Hand des Zufalls – Gesichter, Orte und provozierende Worte gingen ihm durch den Kopf.
    Er hatte etwas geraucht, das ihn unbeweglich gemacht hatte. Aber nicht einfach unbeweglich. Matt nahm nie etwas, außer auf Parties, wo er das gesellschaftliche Treiben mitmachte – einen Zug aus einer Pfeife mit langem Mundstück und einem Tonkopf, der mit einer grasigen Substanz gestopft war. Aber was er da gestern nacht gekifft hatte, war entweder eine minderwertige Haschischsorte oder Durchschnittszeug, das irgendwer mit einem halluzinogenen Wirkstoff verschnitten hatte. Und er war nicht einfach unbeweglich gewesen. Irgendwer saß vor ihm und redete mit schwerer Zunge auf ihn ein, in einem albernen Kintopp-Akzent, der offensichtlich preußisch sein sollte.
    »Man darf die Bereitschaft des Staates niemals unterschätzen, die eigenen massiven Phantasien in die Wirklichkeit umzusetzen.«
    Natürlich war das Eric. Aber auch wenn Matt das begriff, so konnte er es immer noch nicht in den scherzhaften Zusammenhang der beliebten Bombenkopfspielchen einordnen. Denn er war nicht bloß unbeweglich – er konnte auch nicht geradeaus denken. Er war von Feinden umgeben. Nicht Feinden, sondern Verbindungen, einem Netzwerk aus Dingen und Menschen. Nicht richtig Menschen, sondern Gestalten – Dingen und Figuren und Ebenen des Wissens, die ihm vollkommen unzugänglich waren.
    Die Berreitschafft dess Staatess.
    Mann darrf die Berreitschafft dess Staatess niemalss unterrschätzen.
    Eric redete weiter mit seiner albernen Stimme, von Problemkästen und Minimax-Lösungen, lauter Kriegsspiel-Zeugs, das sie im Graduiertenstudium gelernt hatten, Spieltheorien und Konfliktmuster, Kopf gewinne ich, Zahl verlierst du, und Matty saß da, in völlige Unbeweglichkeit gestoned.
    Er war auf seinem Stuhl blockiert, geistig blockiert und schwerkraftgefangen, imstande, seinen Zustand wahrzunehmen, aber nicht, sich da rauszudenken. Ergab unter dem Gewicht des Raumes nach, mißtraute jedem und allem hier. Paranoia. Jetzt wußte er, was das hieß, dieses Wort, mit dem so leichtfertig um sich geworfen und übertrieben wurde, und er spürte, wie ringsum die Verbindungen einrasteten, all die Gegenstände und geformten Silhouetten und Ebenen des Wissens – des Wissens nicht ganz, sondern vielmehr der heimtückischen Absicht. Nein, auch das nicht – irgendeine tiefere Bedeutung, die nur existierte, um ihn davon abzuhalten, herauszufinden, was es war.
    Die eigenenn massivenn Phantasienn in die Wirrklichkeit umzusetzenn.
    Eric redete immer noch, rührte einen Drink mit dem Finger um, und als Matt am Morgen seinen Wagen durch Deming steuerte, fiel ihm ein, daß der Akzent vielleicht gar nicht preußisch sein sollte, sondern ungarisch. Erics Hommage an die ursprünglichen Bombenköpfe, all die mitteleuropäischen Emigranten, dickbrauige Männer mit traurigen Augen und weiten Hosen mit Bügelfalte. Sie kamen während des Kriegs nach New Mexico, um hier wissenschaftlich zu arbeiten, über Nacht breiteten sich Wohnwagen und Hüttensiedlungen aus, und sie verschlangen den ortsüblichen Fraß und spielten einmal in der Woche Poker und gingen samstags zum Square Dance und arbeiteten an dem Ding ohne Namen, der Bombe, die die Grenzen menschlicher Wahrnehmung und Angst neu definieren sollte.
    Er saß auf seinem Stuhl und musterte den Schuh von jemandem.
    Er wußte, er befand sich nicht in einem oberflächlichen Zustand, den die Leute gern herbeizitieren, wenn sie sagen, sie fühlten sich paranoid. Das hier war nicht aus zweiter Hand. Es war echt und tief und wahr. All die Einsilbenwörter, die besagen, daß keine Witze gemacht werden. Und es war vertraut, in einer seltsamen, altsteinzeitlichen, ans Eingemachte gehenden Weise, etwas, das in dem Schlangenhirn früher Erfahrung gespeichert war.
    Er musterte den Schuh von jemandem, der neben ihm saß. Es war ein Wanderschuh, jene funktionale, vernünftige, unsexy, flachabsätzige und vage skandinavische Art schrulliger Fußbekleidung, der scheue, geschlechtslose und alternative Schuh, weder für die Umwelt noch für die Gattung eine Bedrohung, und Matt fragte sich, warum er dann so sinister aussah.
    Inzwischen stotterte Eric.
    Er wußte nicht, wer diesen Schuh trug. Die Vorstellung, den Schuh mit der Person zu

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