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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Wäsche, die an der Leine im Garten in die Horizontale ging, alles, Laken, Taschentücher, Boxershorts, Schlafanzughosen, wie Menschen in allen Größen und Formen, die unter dem Druck zersprangen und ihre Seelen fortfliegen ließen, zu den Gipshügeln.
    »Aber darum geht es gar nicht«, sagte Eric. »Du be, be, begreifst nicht, worum es geht.« In den Bergen regnete es.
    Eric hatte ein falsches Stottern, das er gern einsetzte, um dem Gespräch Struktur zu geben, er hatte es entwickelt, um sich über sich selbst oder seinen Zuhörer lustig zu machen, obgleich keiner von ihnen stotterte, vielleicht äffte er auch nur irgendeinen Nachtclubkomiker nach oder eine affige Fernsehfigur – Matt wurde nicht ganz schlau daraus.
    Er schaute aus einem Fenster von Erics Bungalow. Der Regen war eine rauchig schimmernde Wand, die quer über den Kalksteinklippen hing. Eric saß auf einem Sofa, das immer noch in Verpackungsplastik steckte, inmitten eines Durcheinanders aus Wissenschaftszeitschriften, UFO-Magazinen, Supermarktgazetten, einem halben Dutzend Playboys und verstreutem Essen.
    »Obwohl riesige Geländeflächen betroffen waren und eine große Anzahl von Menschen damit in Berührung kam, ist es bis zum heutigen Tag obergeheim geblieben.«
    »So geheim, daß es womöglich gar nicht wahr ist«, sagte Matt.
    »Glaubst du denn dran?«
    »Ich glaube, daß Fehler gemacht wurden.«
    Eric machte das Spaß. Sein Schattenlächeln tauchte am äußeren Ende des hingerekelten Körpers auf. Es kam und ging, wie ein innerer Dialog, den er parallel zu den gesprochenen Zeilen führte, nicht greifbar und dahintreibend.
    »Es geht schlicht und einfach darum.«
    »Worum geht es denn, Eric?« N
    Er nahm ein Magazin, blätterte ziellos darin herum, sprach mit einem Tonfall, der leicht ungeduldig war, aber vor allem, jetzt da er endlich zur Sache kam, etwas matt und gelangweilt.
    »Es geschah mit voller Absicht«, sagte er. »Sie wußten, daß die Tests nicht sicher waren, aber sie machten trotzdem weiter. Sie ließen nach der Explosion Truppen zum Detonations-Nullpunkt marschieren. Sie schickten bemannte Flugzeuge durch die Strahlungswolken. Sie injizierten Menschen Plutonium, um dessen Weg durch den Körper zu verfolgen. Sie taten das mit voller Absicht, ohne den Menschen mitzuteilen, welche Risiken sie eingingen. Sie setzten Truppen dem Atomblitz aus, und einige Soldaten bekamen Brillen mit Schutzfiltern und andere nicht. Sie experimentierten mit Kindern, Säuglingen, Föten und Psychiatriepatienten. Sie sagten den Navajos, die in den Uranbergwerken arbeiteten, nie, was für Gefahren damit verbunden waren. Und wie sich herausstellte, waren die Gefahren beträchtlich. Sie beschossen die Hoden von Gefängnisinsassen. Im Klartext, sie packten dich bei den Eiern und beschossen dich mit Röntgenstrahlen. Das ist die Geschichte, die ich gehört habe. Glaubst du dran?«
    »Das ist ziemlich, ich weiß nicht.«
    »Na klar. Sehr schwer zu glauben. Deshalb glaube ich auch nicht dran«, sagte Eric. »Nicht eine Zehntelsekunde.«
    Die Regenwand zog sich schleppend über die Ebene heran, und der Wind frischte auf. Die Dichter der Wüstenvölker erzählten Geschichten über den Wind. Er bäumt sich auf und kreiselt und wirbelt dich herum und wirft dich um. Doch er spricht auch so leise, daß nur dein innerster Geist ihn hören kann, und so findest du auf den rechten Weg zurück.
    Eric sagte: »Sie haben den Testpersonen nie mitgeteilt, daß sie Testpe, pe, pe, pe.«
    »Testpersonen waren.«
    »Ich glaube nicht dran«, sagte Eric. »Aber vielleicht siehst du das anders.«
    Matt wußte nicht, wie er es sah. Aber er fand die Geschichte nicht völlig an den Haaren herbeigezogen. Er hatte schließlich in Vietnam gedient, wo sich alles, was er nie hatte glauben wollen oder sich nie hatte vorstellen können, am Ende als wahr entpuppte.
    Eines Tages hielt er doch an, um mit ihr zu reden, mit der Frau, die allein mit ihrem Protesttransparent dastand. Er parkte den Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite und ging zu ihr hinüber. Sie hielt einen Pfosten mit den Armen umschlungen, ein senkrechtes, zwei Meter fünfzig langes Ding, und der andere Pfosten war in den Boden gerammt und untenherum mit aufgehäuften Steinen abgestützt, und das Transparent selbst, ein bespraytes Stück Stoff, erstreckte sich windgepeitscht dazwischen.
    Er stand da und fing an zu reden. Er redete beruhigend, unoriginell und etwas zwanghaft mit ihr, wie ein nervöser Anfänger in einer

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