Unterwelt
verknüpfen, die ihn trug, erforderte eine solch immense Anstrengung, brachte solche Umstände und Komplikationen mit sich, daß sein Kopf unter dem Gewicht des Raumes nur nachgeben konnte. Vielleicht sah der Schuh sinister aus, weil sich all seine Bedeutungen und Verknüpfungen und Konturen außerhalb von Mattys Erkenntnisfähigkeiten befanden.
Und vielleicht sah er auch sinister aus, weil es der linke Schuh war, am linken Fuß, und das bedeutet sinister ja eigentlich – unglücklich, unheilvoll und linksgewandt –, und das Wort brachte seine jammervollen Wurzeln zur Geltung, seine eßbaren Knollen und Stiele, durch das Medium eines Schuhs, den jemand trug.
Eric war immer noch da und redete mit normaler Stimme, von Gestotter unterbrochen. Er schien sich in einem anderen Zeitrahmen zu befinden, Eric, geschnitten und bearbeitet, seine Worte im Stop-Start-Format, seine Position je nach Hintergrund ständig verändert, und da war er wieder, auf dem Ortsschild von Deming, und sein Name schwebte aus der sanften Morgendämmerung hinaus, während Matt westwärts fuhr, tiefer in die weißen Flecken der Landkarte hinein, wo er versuchen wollte, einen Schlüssel zu seiner Zukunft zu finden.
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3
D ie Statue in der Marmornische hatte die Oberschenkel und Waden eines Mannes, auch in den Unterarmen die gebündelten Muskeln eines Mannes, aber eigentlich stellte die Figur die biblische Eva dar, einen Apfel in der Hand, mit festen Brüsten und den abfallenden Schultern eines stämmigen Footballspielers.
Warum auch nicht. Der Abend wirkte etwas verzettelt, wie ein Ereignis voller Querverweise. Klara schlenderte zwischen den Frühankömmlingen durch das große Foyer, und was für ein fröhliches Getriebe die erzeugten, überwiegend Männer übrigens, das war interessant. Guck dir mal die prägnante, geschmeidige Geometrie und die waffenmetallischen Oberflächen an, die drapierten Spiegel und riesigen Kronleuchter, es war ein Art-Deco-Palast, polierter Stahl und Chrom, die Vervollkommnung des Maschinenzeitalters, überdies farblich ziemlich raffiniert abgestimmt, abgesehen von dem Wandgemälde.
Die Leute in der Eingangshalle waren begeistert von dem Wandgemälde. Eine gewaltige, mystische Vision, achtzehn mal zwölf Meter, mit einer Art Lost-Horizon-Motiv, oberhalb der Treppe plaziert und einer sanft geschwungenen Höhenlinie angepaßt, so daß die schroffen Gipfel des Gemäldes von den aufragenden Spiegeln eingefangen wurden, was die Verzauberung auf den größten Teil der Halle übertrug. Bernsteingelber Dunst, ein alter Mann im Mantel mit einem Wanderstock, eine Gruppe Flamingos im Alpenglühen – der Anblick triefte so von Kitsch, daß schon der Kauf einer Postkarte tödlich gewesen wäre.
Ja, dies war die Radio City Music Hall, ein Ort, den Klara zum letzten Mal besucht hatte, als sie ungefähr dreizehn war, etwa ein Jahr nach der Eröffnung – Showsaal der Nation. Sie erinnerte sich an die aufragenden Wände und die mit Teppich ausgelegten Treppen. Sie erinnerte sich an die Damentoilette, jawohl, daran erinnerte sie sich, unten in der großen Lounge.
Sie beobachtete Miles Lightman, der sich durch die Menge schlängelte, mit ein paar Pirouetten näherkam und leicht glubschäugig den ganzen 36o°-Anblick auf sich wirken ließ.
»Wo sind wir, in einem Vorführraum von Bloomingdale's?«
»Wir sind im Jahre 1932, da sind wir.«
»Es ist irgendwie ichweißnichtwie, oder?«
»Jazz-Moderne«, sagte Klara.
»Ist es zu fassen, daß ich noch nie hier war?«
Sie war überrascht, daß sich Miles für den Anlaß in Schale geworfen hatte. Das hatten viele getan, und Miles eben auch, jedenfalls soweit er sich überhaupt mal in Schale warf. Er trug seine Stulpenstiefel und Jeans, dazu aber ein Leopardhemd mit senffarbener Krawatte und ein schwarzes Cordjackett in edwardianisch ausgestelltem Schnitt.
Sie beobachteten einen Mann, der die große Treppe herunterkam und den Verwundeten mimte, als er an dem Wandgemälde vorbeikam. Miles hatte Klara eine Schachtel Zigaretten mitgebracht. Während sie warteten, lieferte er ihr weitere Hintergrundinformationen zu dem Ereignis.
Das Ereignis war eine Vorführung des legendären, verlorengegangenen Sergej-Eisenstein-Films mit dem Titel Unterwelt. Der Film war kürzlich in Ostdeutschland wiedergefunden, sorgfältig restauriert und unter der Ägide des Filmclubs, dem Miles angehörte, nach New York gebracht worden, ein beachtlicher Coup für die Gruppe. Nach einer Phase voller
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