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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Drei-Orangen-Ding, wie auch immer es richtig heißt. Du hast es schon tausendmal gehört.«
    »Ja, natürlich. Aber warum habe ich es schon tausendmal gehört?«
    »Weil es die Erkennungsmusik einer alten Radiosendung war. Präsentiert von Lava-Seife. Erinnerst du dich an Lava-Seife?«
    »Ja, ja, klar.«
    Und Jack sang mit, feierlich und synchron mit der Orgel. »El-la-vau-aa. El-la-vau-aa.«
    »Natürlich, ja . J etzt ist es wieder vollkommen da. Aber an die Sendung erinnere ich mich nicht«, sagte sie.
    Und Jack sang weiter mit, weil es ihm solchen Spaß machte, und dem Publikum ging's genauso, denen, die alt genug waren, die Augen sprangen vom Bildschirm zum Spieltisch, die Köpfe befangen in Radioerinnerungen, und irgendwo hinter der Bühne, auf einem Dutzend Emporen, ließen die riesigen Orgelpfeifen die Töne erklingen – Pfeifen, Windladen jalousien und Gebläse brachten dieses altehrwürdige Thema, das aus einer russischen Oper stammte, zurück nach Hause in die Vergangenheit.
    Und Jack hörte auf mitzusingen, um die Bardenstimme eines Ansagerveteranen anzunehmen, der die Sendung eröffnet.
    »Das FBI in Krieg und Frieden«, sagte er volltönend.
    Es war schön, Freunde zu haben. Daran erinnerte sich Klara jetzt. Nachbarskinder hatten sich die Sendung immer getreulich angehört, gegen Ende des Krieges, sie konnte fast die Stimme des Schauspielers hören, der den FBI-Agenten im Einsatz spielte.
    Der Vorhang schloß sich vor dem Organisten, gerade als die Sonne aufging und Esther sagte: »Na endlich.«
    Ja, der Film hat sich an die Oberfläche emporgearbeitet, in eine Landschaft unter Helligkeitsschock, allgegenwärtig und überbelichtet. Die entflohenen Gefangenen bewegen sich über flaches Gelände, einige von ihnen, die am schlimmsten entstellten, mit Kapuzen, und in der Ferne brennt es, der Horizont zuckt in Rauch und Asche.
    Man fragt sich, ob er diese Szenen in Mexiko gefilmt hat, oder kann das Kasachstan sein, wo er für die Dreharbeiten an Iwan der Schreckliche war, später, im Krieg?
    Viele Totalen, Himmel und Ebene, dazwischengeschnitten Figuren im Vordergrund, ihre Köpfe und Oberkörper verdrängen die Landschaft, genau die Art von formalistischem Exzeß, der dem Regisseur Ärger mit dem Apparat einbrachte.
    Das Orchester, im verborgenen, irgendwo unter dem Graben, spielte zuerst schwach, leise Töne gegen die starken visuellen Eindrücke.
    Du studierst die Gesichter der Opfer, als sie ihre Kapuzen abnehmen. Ein Zyklop. Ein Mann mit Gabelkiefer. Ein Eidechsenmann. Eine Frau mit einem Hautlappen statt Nase und Mund.
    Eine Reihe ausdrucksvoller Largo-Passagen beginnt den Saal zu erfüllen.
    Das Publikum war zum Schweigen gebracht. Jetzt sah man die Dinge anders. Falls es eine Politik der Montage gab, war sie hier intimer – es ging nicht um atomare Verstrahlung oder unverantwortliche Wissenschaft und auch nicht um den Terror des Staates, den unabhängigen Künstler, der diszipliniert und sowjetisiert wird.
    Diese deformierten Gesichter, das waren Menschen, die außerhalb von Nationalität und strengem historischem Zusammenhang existierten. Eisensteins Methode der unmittelbaren Charakterisierung, Typisierung genannt, wirkte hier selbstparodiert und zersplittert, und zwar mit Absicht. Denn äußerlich verrieten die Züge der Männer und Frauen gar nichts über ihre Klasse oder ihren gesellschaftlichen Auftrag. Sie waren verfolgte und veränderte Menschen, dies war ihre Typologie – sie waren ein ärgerliches Geheimnis der Gesellschaft, die sie umgab.
    Jetzt ist eine Suchmannschaft auf der Pirsch, Männer auf Pferden, über die Ebene verstreut. Sie fangen einige der Flüchtlinge wieder ein, sie fesseln sie und lassen sie in finsterem, dicht geschlossenem Glied marschieren, in müden, geistlosen Varianten der Bühnenchoreographien, und Klara sah im Rückblick, wie die Rockettes dies vorweg dargestellt hatten, nur daß es jetzt nicht mehr komisch war, und sie entblößen die Gesichter derjenigen, die immer noch ihre Kapuzen tragen, und die Aufnahmen bekommen allmählich einen Rhythmus, Totale und Großaufnahme, Landschaft und Gesicht, Wellen hypnotischer Wiederholung, und die Musik beschreibt so etwas wie ein Schicksal, ein grausames Geschick, das durch die Jahrzehnte paukt.
    Klara war bewegt von der Schönheit und Schroffheit der Szenen. Man konnte bei jedem rohen Abreißen der Kapuze eine Ahnung von Charakter spüren, ein Leben in den Augen, eine gestaltete Kette von Erfahrungen, und Verständnis

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