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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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nicht auf die Reihe. Sie lächelte und trank ihren Wein. Das Gespräch war irgendwo da drüben. Sie sah ohne Unterlaß herausgerissene Fragmente. Sie sah die gezeichneten Gesichter in der großartigen Landschaft. Sie hatte den Film überall um sich herum, saß in einer Bar unter Wänden aus weißem Neon, das in der Broadwayhitze pochte.

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4
    I n den Städten baut man eine Sprache aus Umsicht und Takt auf, tausend kleine Winke, Nuancen mit dem Schimmer polierter Bronze. Dann geht man in die Wildnis und löst sich auf, verfällt in Stammeln, ißt Pilze, die das Hirn implodieren lassen, die einen übernatürlich bewußt und furchtsam machen, in einen aztekischen Vogel verwandeln.
    Matt Shay saß im Terminal am Flughafen Tucson und lauschte den Ansagen, die von den Wänden prallten.
    Er dachte über sein paranoides Erlebnis auf der Party der Bombenköpfe nach. Er hatte das Gefühl, ganz kurz ein schreckliches System der Verbindungen erspäht zu haben, in dem man keinen Unterschied mehr merkt, zum Beispiel zwischen einer Suppendose und einer Autobombe, weil sie von denselben Leuten auf dieselbe Weise gemacht werden und sich letzten Endes auf dasselbe beziehen.
    Müllstreik in New York.
    Ein Mann, nur als Jack bekannt, wurde ausgerufen. Eine Frau mit Akzent sagte zu jemandem neben ihr: »Ich verlieb mich sozusagen in ihn, ja, wie er meine Wände anstreicht.« Ein Mann im Rollstuhl aß einen Burrito.
    Er saß und wartete, daß Janets Flug angesagt wurde. Er überlegte, ob es ein guter Zeitpunkt war, seinen Bruder anzurufen. Nick lebte jetzt in Phoenix, machte irgendeinen undefinierbaren Beraterjob und unterrichtete einmal die Woche Latein an einem Juniorcollege.
    Wenn Nick stirbt, wird ein Team von Metaphysikern die Blackbox untersuchen, den persönlichen Flugschreiber, der ihnen mitteilen soll, wie sein Geist funktionierte und warum er tat, was er tat, und was er über alles dachte, aber es gibt keine Garantie dafür, daß sie auch nur den geringsten Hinweis finden.
    Sagt an einem Ort namens Paradise Valley lateinische Epigramme vor Studenten der Handelsschule auf.
    Matt setzte die Brille ab und hauchte auf die Gläser, sein Mund verschob sich zu einem flüsternden Oval, dann fuhr er mit dem Taschentuch über die beschlagene Oberfläche und hielt die Brille gegen das Licht.
    Immer wenn die Stimme im Raum jemanden aufforderte, zum weißen Telefon an der Information zu kommen, machte ein kleines Mädchen eine Faust und sprach hinein.
    Er setzte die Brille auf . J anet kam aus dem Gate, und er lachte, als er sie sah. Lachte vor schierer, gesunder Freude und Erleichterung darüber, daß sie endlich da war, auch in körperlicher Vorfreude, und er lachte darüber, daß sie aus dem geplanten Campingausflug ein einziges Durcheinander machen würden, und schließlich und endlich lachte er, weil er nicht anders konnte. Er war duselig von der langen Tagesfahrt und hatte nicht die Energie, sein Lachen zurückzuhalten.
    Janet ging energisch auf ihn zu, ihr leicht verzerrtes Grinsen auf dem Gesicht, mit dem sie kundtat, daß sie nicht genau wußte, was sie hier eigentlich zu suchen hatte.
    »Der Käptn hat gesagt, es wären vierzig Grad.«
    »Soll ich Nick anrufen?«
    »Wozu das denn? In Boston waren es zweiundzwanzig.«
    »Er wohnt gleich um die Ecke. Kommt mir albern vor, nicht anzurufen.«
    »In New York ist Müllstreik«, sagte sie.
    Er war duselig vom Fahren, und sie war benommen von der Enge und dem Motorengeräusch. Sie gingen auf den Parkplatz und stopften ihr Gepäck in den Jeep. Der Jeep war überladen, eine Karikatur des Konsums, aus den Nähten platzend vor Ausrüstung, Kleidung, Gepäck und Büchern.
    »Sag mir noch mal, wo wir hinfahren«, sagte sie.
    Sie übernachteten am Rand eines Indianerreservats, in einer alten Adobe-Pension mit einem popcornessenden Teenagermädchen an der Rezeption, und vom Bett aus konnten sie die weiße Kuppel eines Observatoriums sehen.
    Es war ein schöner Raum mit Deckenbalken und gruseligen Spießermöbeln, und sie waren scheu, weil sie sich so lange nicht mehr gesehen oder berührt hatten, und Janet mußte sich daran gewöhnen. Sie hatten bislang nur ein paarmal miteinander geschlafen, jedesmal im voraus geplant. Ihnen fehlte der Code des stillen Einverständnisses, von Rhythmus und Blicken, das ganze verschwiegene Protokoll der Wünsche und Andeutungen und sich leicht streifenden Körper im Fahrstuhl. Es gab keinen Fahrstuhl hier. Und Janet fühlte sich in einem fremden Zimmer ihrer

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