Unterwelt
zurückzuschauen. Er hat sich einen Blick gestattet, blitzartig und schräg, und jetzt hat er sich im harten Starren des Mannes verfangen.
Die erhabenen Nähte des Balls pochen in seiner Hand.
Ihre Augen treffen sich in den Abständen zwischen den schaukelnden Körpern, zwischen den vorstehenden Gesichtern und den breiten Rücken der schreienden Fans. Ringsum Jubel. Aber er hat sich im Blick des Mannes verfangen, und sie schauen sich durch die Menge und über die Menge hinweg an, und es ist Bill Waterson mit Flecken auf dem Hemd, die Haare haben richtig gelitten und stehen ab – der gute Nachbar Bill, dessen Halsabschneiderlächeln ihn anblitzt.
Die Toten sind gekommen, um die Lebenden zu holen. Die Toten in Leichentüchern, Totenregimenter zu Pferde, das Skelett mit dem Leierkasten.
Edgar steht im Gang und hält die beiden gegenüberliegenden Seiten der Abbildung aneinander. Die Leute klettern über die Sitze, schreien heiser zum Spielfeld hinüber. Er steht da und hält sich die Seiten vor die Augen. Er hat erst gemerkt, daß er nur die Hälfte des Gemäldes sah, als auch die linke Seite herniederschwebte, da erblickte er flüchtig ein bißchen rostbraunen Erdboden und zwei skeletthafte Männer, die an Glockensträngen ziehen. Das Blatt streifte den Arm einer Frau und landete mit einer Drehung auf Edgars gottesfürchtiger Brust.
Thomson befindet sich jetzt draußen im zentralen Außenfeld und weicht den Fans aus, die in Schwüngen und Sprüngen nahen. Sie springen ihn an, sie wollen ihn zu Boden reißen, ihm Schnappschüsse von ihren Familien zeigen.
Edgar liest den Bildnachweis auf der dazugekommenen Seite. Es handelt sich um ein Werk aus dem 16. Jahrhundert, von einem flämischem Meister namens Pieter Bruegel, und es heißt Der Triumph des Todes.
Ein kühner Titel, will mich dünken. Aber zugegeben, schon faszinierend – vielleicht ist die linke Seite sogar noch besser als die rechte.
Er mustert den Schinderkarren voller Schädel genauer. Er steht im Gang und betrachtet den nackten Mann, den die Hunde hetzen.
Er betrachtet den abgemagerten Jagdhund, der an dem Säugling im Arm der toten Frau nagt. Das sind lange, knochige Hungerleiderköter, Kriegshunde sind das, Höllenhunde, Schindangertölen, befallen von Parasitenmilben, Hundetumoren, Hundekrebs.
Der gute keimfreie Edgar, der Mann, der zu Hause ein Luftfiltersystem zum Zerstäuben von Staubkörnchen hat – er findet Geschwüre, Wunden und verwesende Leichen fesselnd, Hauptsache, der Kontakt mit der Quelle ist rein bildlich.
Er entdeckt eine weitere tote Frau im Mittelgrund, rittlings über ihr ein Skelett. Die Stellung ist fraglos sexuell. Doch halt, ist sich Edgar sicher, daß das eine Frau darstellen soll, keinen Mann? Er steht im Gang, ringsum johlt die Menge, und er hält sich die Seiten vor die Augen. Die Unmittelbarkeit des Gemäldes findet er eindrucksvoll . J a, die Toten kommen über die Lebenden. Doch allmählich erkennt er, daß die Lebenden Sünder sind. Die Kartenspieler, die schäkernden Liebesleute, er sieht den König im Hermelinmantel, der seine Schätze in Oxhoftfässern hortet. Die Toten sind gekommen, um die Weinschläuche zu leeren und den tafelnden Edelleuten einen Schädel auf dem Tablett zu servieren. Er sieht Völlerei, Geilheit und Gier.
Edgar liebt so was. Edgar, Jedgar. Gib's doch zu – du liebst es. Davon knistern ihm die Körperhärchen. Skelette mit schmächtigen Schwänzen. Die Toten an den Kesselpauken. Die Sackleinentoten schneiden einem Pilger die Kehle durch.
Die Farben von Blut und Fleisch und die Leichenhaufen, dies ist eine Statistik grauenvoller Todesarten. Er schaut in den lodernden Himmel, weit weg hinter dem Vorgebirge auf der linken Seite – Tod in der Ferne, Feuersbrünste an vielen Orten, Schrecken weltumspannend, die Krähen und Raben in stummem Gleitflug, der Rabe auf der Kruppe der weißen Mähre hockend, schwarz und weiß in alle Ewigkeit, und Edgar denkt an einen einsamen Turm im kasachischen Testgebiet, den Turm, der mit der Bombe bestückt ist, fast kann er den Wind hören, der über die Steppen Zentralasiens bläst, da draußen, wo der Feind in langen Mänteln und Pelzmützen lebt und die alte, gewichtige Sprache spricht, die sie da haben, liturgisch und tiefernst. An welcher geheimen Geschichte schreiben sie? Da ist das Geheimnis der Bombe, und da sind die Geheimnisse, die von der Bombe inspiriert werden, Dinge, die selbst der Direktor nicht erraten kann – ein Mann, dessen einsames
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