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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Herz jedes eiternde Geheimnis der westlichen Welt birgt –, denn diese Verschwörungen entstehen ja gerade erst. Er weiß nur eins, daß das Genialische der Bombe sich nicht nur in ihrer physikalischen Zusammensetzung aus Partikeln und Strahlen äußert, sondern auch darin, daß sie viele Möglichkeiten für neue Geheimnisse schafft. Für jede Explosion in der Atmosphäre, für jeden kurzen Blick, den wir auf die entblößte Macht der Natur, diesen komischen enthäuteten Augapfel, der über der Wüste detoniert, erhaschen – für jede und jeden davon, schätzt er, gibt es einhundert Verschwörungen, die in den Untergrund gehen, dort schwärmen und laichen.
    Und welche Verbindung gibt es zwischen uns und ihnen, wie viele gebündelte Verknüpfungen finden wir im Labyrinth des Nervensystems? Es reicht nicht, seinen Feind zu hassen. Man muß begreifen, wie wir und sie uns gegenseitig vollkommen ergänzen.
    Die alten Toten ficken die neuen. Die Toten holen Särge aus der Erde. Die Toten am Hang läuten die alten, rissigen Glocken, die für die Sünden der Welt erschallen.
    Einen Moment lang schaut er auf. Er nimmt die Blätter vor seinem Gesicht weg – reißt sich mühsam davon los – und betrachtet die Menschen auf dem Spielfeld. Die im Glückstaumel sind. Die um die Bases herumrennen und lauthals den Endstand verkünden. Die so aufgeregt sind, daß sie heute nacht nicht schlafen werden. Die einen, deren Mannschaft verloren hat. Die anderen, die die Verlierer verspotten. Die Väter, die nach Hause laufen werden, um ihren Söhnen zu erzählen, was sie gesehen haben. Die Männer, die ihre Frauen mit Blumen und Schokokirschen überraschen werden. Die Fans, die in einem Pulk an den Stufen des Clubhauses die Namen der Spieler grölen. Die Fans, die auf dem Weg zur U-Bahn nach Hause mit den Fäusten aufeinander losgehen. Die Schreihälse und Berserker. Die alten Freunde, die sich zufällig draußen an der Second Base begegnen. Und diejenigen, die mit ihrer Seligkeit die Stadt erleuchten werden.
    Cotter geht in normalem Schrittempo durch das Nachmittagslicht, das Nachschullicht. Er kommt an Häuserreihen auf der Eighth Avenue vorbei, einen kleinen, feierlichen Hüpfer im Gang, ein endloses Aufundabschwingen, und Bill hält sich schräg hinter ihm, knapp dreißig Meter entfernt.
    Er sieht das Schild, Kraft im Gebet, er trägt den Ball in der rechten Hand und reibt mehrmals daran, dreht sich um und sieht, wie hinter Bill der Student in der zweifarbigen Jacke auftaucht, der Junge, der zu Beginn in das Gerangel um den Ball verwickelt war.
    Bill ist sein Cowboygrinsen abhanden gekommen. Er nimmt Cotters Existenz so gut wie nicht zur Kenntnis, diesen Jungen, der in hochgeschnürten Keds-Turnschuhen auf Erden wandelt. Cotters Körper ist startbereit. Aber wenn er jetzt losrennt, dann haben wir da einen schwarzen Jungen, der zwischen überwiegend weißen Passanten hindurchläuft und von zwei wutentbrannten Weißen verfolgt wird, die Dieb! oder Gib! schreien oder so was.
    Sie gehen die Straße entlang, drei Geheimmitglieder eines organisierten Ereignisses.
    Bill ruft: »Hey Cotter, Kumpel, hör mal, wir haben dieses Spiel zusammen gewonnen.«
    Viele Leute sind in Autos oder in der U-Bahn verschwunden, sie strömen über den Fußgängerweg auf der Brücke zur Bronx, aber es sind immer noch genug Menschen da, um den Verkehr auf der Straße lahmzulegen. Die berittene Polizei ist unterwegs, aufrecht zu Pferde, wie erhabene Wesen erscheinen sie zwischen den Autos.
    »Hey Cotter, ich hatte den Ball vor dir in der Hand.«
    Bill sagt das gutmütig. Er lacht dabei, und Cotter fängt gleich wieder an, diesen Mann zu mögen. Autohupen blöken überall auf der Straße, Lärm der Freude und der gegenseitigen Begrüßung.
    Der Student sagt: »Ich finde, es wird Zeit, daß ich mich mal hier reinhänge. Ich hänge da nämlich auch mit drin. Ich war der erste, der den Ball erwischt hat. Lange vor euch beiden übrigens. Irgendwer hat ihn mir aus der Hand geschlagen. Ich meine, wenn wir schon davon reden, wer zuerst da war.«
    Cotter beobachtet den Studenten beim Sprechen aus den Augenwinkeln. Er sieht, daß Bill stehenbleibt, also bleibt auch er stehen. Bill bleibt stehen, um Eindruck zu machen. Um den Studenten abzutaxieren, ihn von Kopf bis Fuß zu mustern, Punkt für Punkt. Er registriert die zweifarbige Jacke, das dichte rote Haar, er erfaßt den ganzen Jungen und seinen Status als an Land lebendes Säugetier mit beträchtlichem Gehirn.
    Und

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