Unterwelt
auserlesensten Gesellschaftsschichten fühlte, den Gesalbten und Prädestinierten, umgeben von einer Aura wie Inka-Könige, den Talentierten und Originellen und Selfmademen und Schöngeborenen und Egogetriebenen und Schacherern, allesamt von Sternenschimmer umglänzt, und dazu noch den Rücksichtslosen und Ungehobelten.
Ja, Edgar war vor Aufregung ganz feucht.
Er blieb stehen, um mit Frank Sinatra und seiner jungen Frau zu plaudern, einem Nymphchen mit jungenhaftem Haarschnitt und einer Schmetterlingsmaske.
»Jedgar, altes Schlachtroß. Hab dich ja nicht mehr gesehen seit.«
»Ja, ich weiß.«
»Tempus fugittet, was, Kumpel?«
»Allerdings«, sagte Edgar. »Stell mich deiner Schönen vor.«
Sinatra war jetzt auch in den Akten. Wie viele andere der Anwesenden. Nicht ein einziger von ihnen, dachte sich Clyde, war in seinen professionellen Manövern so versiert wie Edgar. Aber Edgar hatte keinen Glanz. Edgar arbeitete im Halbdunkel, manipulierte und brachte Verderben. Ihn schmückte der kleine, blasse, grollende Ruhm des Beamten. Ohne die offene, selbstbewußte Zurschaustellung, die großspurige Gockelparade von einigen dieser kosmischen Helden hier.
Auf der Bühne, unter dem aufgezogenen Vorhang, wechselten sich zwei Bands ab. Ein weißes Gesellschaftsorchester und eine schwarze Soulband. Alle Musiker maskiert.
Die Leute waren von Edgars Ledermaske hingerissen. Und sagten es ihm. Eine Frau in Straußenfedern leckte ihm über die Bügel.
Eine andere Frau nannte ihn Biker Boy. Ein schwuler Theaterautor verdrehte die Augen.
Sie erreichten ihren Tisch und ließen sich ein Weilchen nieder, nippten Champagner und knabberten an Buffet-Häppchen. Clyde nannte die Namen vorbeitanzender Leute, und Edgar gab Kommentare über ihre Lebensläufe, Karrieren und persönlichen Vorlieben ab. Und falls ihm das eine oder andere aus dem Anekdotenschatz gerade nicht einfiel, sprang Clyde hurtig ein.
Andy Warhol spazierte mit einer Maske vorbei, die ein Foto seines Gesichts war.
Eine Frau forderte Edgar zum Tanz auf, und er errötete und steckte sich eine Zigarette an.
Lord und Lady Dingsda hielten ihre Masken an Stöckchen.
Eine Frau trug einen sexy Nonnenwimpel.
Ein Mann trug eine Henkerkapuze.
Edgar sprach schnell mit seiner alten Staccatostimme, wie ein Radioreporter, der eine Reihe knalliger Nachrichtenmeldungen bringt. Clyde war richtig angetan, den Chef so aufgekratzt zu sehen. Sie entdeckten einige Leute, die sie beruflich kannten, Gesichter aus Regierungskreisen der Vergangenheit und Gegenwart, Männer in heiklen und kritischen Positionen, und Clyde bemerkte, daß der Ballsaal von den Gegenströmungen der Interessen und Gelüste schier pulsierte. Die politische Macht vermengte sich schlüpfrig mit Kunst und Literatur. Historiker mit Vollglatze schwoften mit den Schönen aus High Society und Mode. Diplomaten tanzten mit Filmstars, Nobelpreisträger erzählten Reederei-Tycoons Kumpelgeschichten, die Talmiwelt des Broadway und die Klatschindustrie prosteten Auslandskorrespondenten zu.
In der Luft hing ein Gefühl, als spürten alle, daß sich da etwas Weitreichendes entwickelte. Grauenvolle Aussicht, dachte Clyde, denn das ließ auf eine Fortsetzung der Kennedy-Jahre schließen. In denen fundierte Kategorien langsam irrelevant geworden waren. In denen eine gewisse fließende Bewegung möglich wurde. In denen Sex, Drogen und Fäkalsprache die Schichten der Kultur allmählich auflösten.
»Ich finde, du solltest tanzen«, sagte Edgar.
Clyde schaute ihn an.
»Es ist eine Party. Warum nicht? Such dir eine passende Dame und wirble sie übers Parkett.«
»Ich glaube tatsächlich, der Mann meint's ernst.«
»Und dann komm zurück und erzähl mir, worüber ihr gesprochen habt.«
»Kann ich überhaupt noch irgendeinen Schritt?«
»Du warst früher ein ganz guter Tänzer, Junior. Na los. Zeig's ihnen. Es ist eine Party.«
Auf der Tanzfläche waren die Gäste beim Twist, mit der ganzen artikulierten Pantomime der aus der Starre erwachten Toten, die für einen Tag zurückgekehrt sind. Bald tauchte die weiße Kapelle wieder auf, und die Musik ging zu Foxtrott und Walzer über. Clyde beobachtete die langsam schuffelnde Menge umsichtiger Tänzer, die sich kaum berührten, auf Frisuren und Schmuck und Kleider und Masken zu achten hatten und immer nach anderen tollen Leuten Ausschau hielten – Köpfe drehten sich, blitzende Augen auf dem großen schwarz-weißen Kreisel.
»Komm, zeig dein wahres Gesicht«, sagte Edgar mit
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