Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
Vom Netzwerk:
schiefem Grinsen.
    Ach, das war's. Beschwipst und zickig. Na schön, dachte Clyde. Wenn das ein Abend werden sollte, an dem alte Verbote etwas gelockert wurden, warum nicht ein Tänzchen wagen?
    Er ging auf eine Frau zu, die nicht nur maskiert war, sondern ganz mittelalterlich schien, ein Tuch um den Kopf gewunden hatte und ein langes, schlichtes Cape trug, in der Taille gerafft, darunter ein enges Korsett, das bis unter die Brüste hochgeschnürt war.
    Sie lächelte ihn an, und Clyde sagte: »Sollen wir?«
    Sie war groß und weiß und trug kein Make-up und sprach ohne Ehrfurcht von dem Abend, seinem Pomp und seinen Fußangeln. Eine vernünftige junge Dame, wie sie Edgar vielleicht bewundert hätte, Clyde also auch.
    Sie trug eine Rabenmaske.
    Clydes eigene Maske, ein schlichter Domino, steckte inzwischen in seiner Jackettasche.
    »Gebrauchen wir unsere Namen?« fragte er. »Oder folgen wir den strikten Regeln der Anonymität?«
    »Gelten hier Regeln? Das wußte ich gar nicht.«
    »Erfinden wir doch unsre eigenen«, sagte er, überrascht, daß er ein leicht erotisches Geplänkel vom Zaun brach.
    Er führte sie auf Körperpaare zu und wieder fort, die zur Melodie einer alten Ballade aus seiner Jugend geisterschwebten.
    Clyde hatte früher Freundinnen gehabt. Doch als der Chef anfing, andere denkbare Kandidaten zu umwerben, kräftige junge Agenten, die mehr eine gesellschaftliche denn eine FBI-interne Funktion erfüllen würden, wußte Clyde, daß es Zeit wurde, sich Edgars Bedürfnis nach einem stetigen und ergebenen Freund zu beugen, einem Gefährten der Seele und des Wortes und der unabänderlichen Routine. Diese Entscheidung befriedigte Clydes tiefes Bedürfnis nach Schutz, einem Platz auf der sicheren Seite des befestigten Walls.
    Macht – und schon paßte ihm der Anzug besser.
    Er sah, wie Edgar mit einer Gruppe am äußersten Ende des Ballsaals fotografiert wurde. Clyde erkannte die meisten, und ihm fiel auf, wie willig sich Edgar einfügte.
    Edgars eigene Macht hatte ihn immer doppelt gepanzert. Er besaß natürlich die Macht seines Amtes. Und außerdem die Macht, die ihm seine Selbstkasteiung verlieh. Seine strengen Maßnahmen als Direktor wurden merkwürdig legitimiert durch sein Privatleben, die Kompromißlosigkeit seines beharrlichen Zölibats. Clyde glaubte daran, daß Edgar seine monokratische Macht durch die Tage und Nächte der Selbstverleugnung erworben hatte, durch die Ablehnung unannehmbarer Impulse. Der Mann war konsequent. Jedes offizielle Geheimnis des FBI wurde direkt in Edgars Seele blutgeboren.
    Das machte ihn zu einem großen Mann.
    Konflikt. Die Natur seines Begehrens und seine unablässigen Bemühungen, Homosexuelle in Regierungskreisen bloßzustellen. Das Geheimnis seines Begehrens und die Weigerung, ihm nachzugeben. Groß in seiner Überzeugung. Groß in seinem harten Urteil und traditionellen Hintergrund und seiner frühamerikanischen Redlichkeit und groß in seiner haarspalterischen Angst und dunklen Scham und groß und traurig und jämmerlich in seinem Ekel vor körperlichem Kontakt und in tausend anderen Qualen, die zu tief waren, um benannt zu werden.
    Clyde hätte alles getan, was der Chef verlangt hätte.
    Sich hingekniet.
    Vornübergebeugt.
    Ausgestreckt.
    Herumgegriffen.
    Doch der Chef wollte nur seine Gesellschaft und seine Treue, bis zum allerletzten bewußten Augenblick seines ersterbenden Atems.
    Clyde sah noch einen Mann und dann noch einen in Henkerkapuze. Und eine Gestalt in einem weißen Leichentuch.
    »Und dieser Mann da drüben. Der sich knipsen läßt«, sagte die junge Frau. »Mit dem haben Sie zusammengesessen.«
    »Mr Hoover.«
    »Mr Hoover, ja.«
    »Und bei ihm, mal sehen. Die Frau eines berühmten Dichters. Der Mann einer berühmten Schauspielerin. Zwei ledige Komponisten. Ein Milliardär mit Doppelkinn.« Clyde merkte, er gab mächtig an. »Und ein Börsenmakler und Segler namens, mal nachdenken, Jason Vanover. Und seine Frau, eine mittelmäßige Malerin, die heißt, wie immer sie heißt. Sax oder Wax oder so.«
    »Und Sie sind Mr Tolson«, sagte die Frau.
    Ach, wie schlau, dachte Clyde, der selten in der Öffentlichkeit erkannt wurde und sich etwas geschmeichelt und auch etwas verunsichert fühlte.
    Sie tanzten Wange an Wange.
    Er sah noch eine Frau in einem leicht abgewandelten mittelalterlichen Kleid, etwas verschleierter und verborgener unter ihrer Kapuze, und sie erinnerte ihn an – nein, nicht an das Gemälde aus dem 16 . J ahrhundert, das Edgar so

Weitere Kostenlose Bücher