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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Teenagerjungs, die sich unter dummem, flatterndem Grinsen wieder einkriegten, und ich suchte nach einem Ort, wo Amy etwas Kühles, Gesundes trinken konnte, irgendwo zwischen hier und dem Flughafen.
    27. OKTOBER 1962
    Das Hotel hieß »The Waves«, und warum auch nicht? Hier war man am Ocean Drive, nicht wahr, in der Gemeinde Miami Beach.
    Aus gemieteten Kabrioletts stiegen kleine, reiche, zornige Männer mit ihren aufgetakelten Frauen, die so kulthaft gebräunt waren, daß sie aussahen wie Tabakblätter.
    Verzogene, besserwisserische, aufgemotzte Jugendliche aus den Städten des Nordens zeigten in der Bar falsche Ausweise. Sie waren an den Party-Unis der Gegend eingeschrieben und wollten sich die Show im großen Saal um keinen Preis entgehen lassen.
    Ein Kontingent Kubaner fiel ein, auf dem Weg zur Hotel-Lounge, gestiefelt und gespornt, tropisch smart – die Frauen in Wickelweiß, zum Tanzen geboren, die Männer sonnenbebrillt und mißtrauisch. Sie sahen aus wie Leibwächter irgendeines jefe , der demnächst stürzt.
    In der Lounge spielte eine Latinband Mambo und Cha-Cha-Cha, einige Sexbomben aus Long Island waren da und schauten sich nach zweiten Gatten um. Sie reisten paarweise oder sogar mit Schwester, wie Jägerin und Büchsenträgerin, eine geschieden, eine ledig – hier ein Rendezvous mit einem Kieferorthopäden und dort eins mit einem zweifelhaften Geschäftsmann. Sagt, er wär leitender Angestellter im Hotelwäschelieferantengewerbe, ja? Aber wenn ich ihn mal anrufe, ja? Ich soll nach Marty fragen, ja? Und dabei heißt er Fred, ja?
    Eyegelinert, gezupft, maskarisiert, aufblitzende Acrylnägel in korall, passend zu Lippenstift und Rouge. Das waren Frauen, die schon immer dazugehört hatten, und einigen von ihnen war der Nightclub lieber als die Lounge, weil sie Lust auf eine Kostprobe von Lenny Bruce hatten.
    Erst wird gelacht, dann getanzt.
    Der Saal hieß El Patio, und der Mambo sickerte ständig aus der Lounge herein. Lenny war überrascht, einige alte Leute im Publikum zu entdecken, ein paar Krücken lehnten an den Stühlen, aber er beschloß, keinen Krüppelsketch zu bringen. Nicht weil er vorsichtig und mild geworden wäre. Nein, heute abend gab es nur ein Thema, und das war bestimmend für seine Existenz.
    »Wir sind weniger als zweihundert Meilen von Kuba entfernt. Ich weiß, daß ihr das wißt. Und ich weiß es auch. Aber sagen muß ich es trotzdem. Diese Raketen stehen gleich hinter meiner linken Schulter, klar? Eine Reichweite von eintausend Kilometern, was von hier aus gesehen gar nicht nötig wäre, mich aber trotzdem stört, denn wir haben den Krieg noch nicht mal verloren, und schon ist das metrische System bei uns eingeführt.«
    Und er stand mit nickendem Kopf da, schaute drein, als wäre er halb im Jetlag, bißchen paranoid, bißchen übermedikamentiert, mit gedämpfter Stimme, die Augen in schlieriger Mondtrübnis.
    »Und wir werden nicht etwa umgebracht, weil wir Juden sind. Das ist das Fiese daran. Sie werden uns umbringen, weil wir Amerikaner sind. Wie finden wir das denn?«
    Was für ein Einstieg in einen Showabend. Langes, erbärmliches Schweigen. Dann machte Lenny im Stehen eine Linksdrehung, posierte einen Moment lang wie irgendein Diskusgrieche und schoß schließlich mit dem Oberkörper nach vorn, um mit der Faust auf den Boden zu hämmern.
    Ein Collegebengel lachte.
    »Und die Namen unserer Beschützer, die liebe ich besonders. Sperr die Ohren auf, Jim.«
    Und er nahm ein Bündel Zeitungsausschnitte aus der Seitentasche seiner schäbigen Überjacke. Murmelte ein paar Zeilen, gab ein paar politischer angelegte Kommentare von sich, ließ einen Ausschnitt fallen und trat darauf, sprach kurz mit seiner transsylvanischen Stimme.
    »Also schön, diese Männer entscheiden über unser Schicksal. Tag und Nacht geht's in irgendwelche feierlichen Besprechungen, rein und raus. Weiße Hemden, Manschettenknöpfe, gestreifte Krawatten. Aber eigentlich hängt alles an ihren Namen. Adlai Stevenson. Adlai. Macht einen doch glatt platt bis runter auf die feinen Schuhchen von Capezio, oder? Adlai, das ist so exklusiv, das hat nicht mal ein Geschlecht. Dieser kleine Junge ist etwas so Besonderes, daß keiner wissen darf, daß er ein Junge ist. Denn letzten Endes, ja, letzten Endes ist es doch hundsgewöhnlich, ein Junge oder ein Mädchen zu sein. Und wenn irgend jemand anderes im Umkreis von fünftausend Meilen den Namen unseres Adlai führt, dann zahlen wir dafür, daß er umgebracht wird. Mit

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