Unterwelt
Das ist die Sprache der Lagerwaren. Wie Waren am Stück. Du kannst sie dir kaufen. Kauf sie dir. Oder wie eine Textilfabrik. Arbeit, die danach bezahlt wird, wieviel Stück tatsächlich gemacht werden. Er ist ein Anmachkünstler. Sie ist ein geiles Stück. Eine geile Schnitte. Schneid dir 'ne Schnitte ab, dann hast du einen guten Schnitt gemacht. Du weißt nicht, wo die Frau aufhört und der Stoff anfängt, den sie trägt.«
Das ist Lennys Urchristen-Ton, wenn er dem Pöbel in der Wüste seine Offbeat-Predigten serviert.
»Du nimmst ein Taxi, das Radio läuft. Chruschtschow hat Kennedy einen Brief geschrieben. Er will einen Gipfel. Wer ist dieser Chruschtschow eigentlich? Ein Rowdy im schlechtsitzenden Anzug. Du machst dir Sorgen um deinen Gipfel, nicht seinen. Bei der Raketenkrise geht es doch nur um eines, welche sexuellen Möglichkeiten bietet sie? Du kriegst Raytheon zu dir nach Hause und überzeugst sie davon, daß die ganze Welt gleich hops geht, und erstaunlicherweise funktioniert es, in Minutenschnelle steht sie nackt in deinem Wohnzimmer und besteht nur aus Ovalen und Kurven, wie die Handschriften-Methode von Palmer, und sie ist so blond, als wär sie radioaktiv.«
Lenny schaltete abrupt auf frei improvisierte Sketche um. Was immer gerade über seinen geistigen Bildschirm zischte. Er fing Sketche an, die ihn nach fünf Sekunden schon langweilten. Er machte Psychoanalyse, brachte persönliche Erinnerungen, er machte Stimmen und Akzente nach, großmütterliches Stöhnen, Szenen aus Gefängnisfilmen, und schließlich beendete er die Show mit einem Monolog, der eine Art verknappte Syntax hatte, ein Ding ohne Bindeworte, Freistilkochen, mehr Musik als Rede, gesprochener Jazz, in dem ein Slangausdruck eine dazu passende Umgangssprache hervorbrachte, wie Musiker beim abwechselnden Improvisieren in Fours, die RoadBand, das innere Riff des Sideman, und als sich die Menge schließlich zerstreute, nahm sie sein Monologmosaik mit in die Stripkneipen und Bars und 24-Stunden-Diners, die Anlaufstellen der Nachteulen, und es war Lennys eigener, harter Bop, seine Ansprachen ans Volk im Galopp durch die weite Nacht von Chicago.
2. JULI 1959
Wir stellten das Auto einen halben Häuserblock vor der Brücke ab und stiegen in ein Taxi um. Ich gab dem Burschen die Adresse, und er schaute mich an, schaute sie an, nickte dann kurz. Ich hatte gehört, es wäre besser, ein Taxi über die Grenze zu nehmen, denn wenn man mit dem eigenen Auto fuhr, mußte man mit irrsinnigen Verzögerungen rechnen, weil man bei der Rückkehr auf die US-amerikanische Seite von den Zöllnern nach Waffen und Drogen durchsucht wurde.
Die Stadt hatte eine seltsame elektrische Helligkeit im Gewitterlicht. Blaue und grüne Läden mit Stuckfassaden, Keramik im Schaufenster – Keramik, Kupferzeug, Decken, Glas.
»Ich glaube, ich habe Bedenken«, sagte ich.
»Also bitte, ja?«
»Vielleicht ist es auch so, daß ich alles erst jetzt richtig bedenke, das hatte ich bisher gar nicht.«
Amy konnte ganz schön vorwurfsvoll aus ihren hellbraunen Augen gucken.
»Es schien mir selbstverständlich, daß nichts anderes in Frage kam«, sagte ich. »Wir hätten noch mehr darüber reden sollen.«
Ihr Blick, das war ein Blick, wie du ihn abkriegst, wenn dir jemand klarmachen will, daß es große Mühe kostet, dich nicht zu bemitleiden. Als wir die Stadt hinter uns ließen und in die braunen Berge hinausfuhren, begann es heftig zu regnen. Ungefähr sechs Minuten später hielt der Wagen vor einem ziemlich geräumigen Haus hinter Bäumen, und die Sonne schien heiß und hell, und die Erde dampfte.
Die Frau, die uns hereinließ, schaute Amy an und sagte: »Ihren Namen bitte«, mehr oder weniger managerhaft.
»Amy Brookhiser.«
»Ja, Sie kommen bitte mit mir.«
Und dann geschah folgendes. Amy ging mit der Frau, die entweder die Krankenschwester, die Arztfrau, die Büroleitung oder eine Kombination aus alldem war. Ich dachte, vielleicht hätten wir uns gegenseitig noch ermutigen können, Amy und ich, oder ich hätte etwas sagen können, auch wenn sie es nicht tat, obwohl ich gar nicht wußte, was ich hätte sagen sollen, aber sie waren schon den Flur entlang und links um die Ecke, und ich stand immer noch mit unseren Reisetaschen da.
Na schön. Ich setzte die Taschen ab und ging ins Wohnzimmer oder Wartezimmer und ließ mich auf dem Sofa nieder. Es gab keine Zeitschriften. Der Lesestoff befand sich ausschließlich an den Wänden, gemalte Sprichwörter und okkulte
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