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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Symbole, das kam unerwartet. Kreise, Zickzacklinien, Pfeile, Vögel, mucho Mystikgeschwafel, und ich versuchte, es alles aufzunehmen. Eine Reihe bildlich gestalteter Sprichwörter, Worte, die Dreiecke und hohe Palmen bildeten, Lebensbäume vielleicht – Sprichwörter auf englisch über die Seelenwanderung und das Auge Gottes, und es gab mystische Augen und mahnende Hände an allen vier Wänden und der Decke.
    Ich versuchte, diese Überraschung zu verdauen, fragte mich nach ihrer Bedeutung und warum ich nicht vorgewarnt worden war, und da kam der Arzt herein. Die Adresse stammte von einem Mann, mit dem ich in Palo Alto zusammenarbeitete, und ich hatte per Telefon alles arrangiert, und zwei weitere Leute hatten mich beruhigt, was die Sicherheit betraf, sicher, sauber, professionell, aber über die Wände hier hatte keiner ein Wort verloren.
    Er schien mich gar nicht anzuschauen.
    Er sagte: »Ja.«
    Ich sagte: »Dr. Swearingen?«
    Er schaute mich nicht an.
    Er sagte: »Offenbar alles in Ordnung.«
    Ich sagte: »Bezahle ich jetzt?«
    Wir schienen uns rückwärts zu unterhalten.
    Er dachte mit verzogenem Mund über die Frage der Bezahlung nach, meine Hand lag wartend auf meiner Brieftasche.
    Er war ein großer Mann in weißem Kittel, groß und gebeugt, von merkwürdiger Blässe und zutiefst in sich gekehrt, fand ich, einsachtundneunzig oder gar zwei Meter groß, ein Amerikaner, der Abtreibungen machte, aus Pflicht- und Mitgefühl, behaupteten die Leute, mit denen ich gesprochen hatte, und er war heute unrasiert.
    Ich bezahlte ihm zweihundert Dollar in bar, und er sagte: »Rechnen Sie mit einigen Blutungen«, vielleicht um von der ganzen Transaktion abzulenken, und dann ging er den Flur hinunter.
    Ich saß da mit den Bildern und den Wörtern. Ich wußte nicht, was ich von alldem halten sollte. Ich wußte nicht, wie ich es nennen sollte. Vielleicht wußte Amy es, aber sie hatte nicht viel gesagt. Sie wollte es bloß hinter sich bringen.
    Ich war bereit, Opfer zu bringen und verantwortlich zu sein. Das sagte ich mir. Ich wollte mich an etwas Starkes binden, an eine Frau, dachte ich, und ein Kind.
    Aber das hier war überhaupt nicht stark. Es war hoffnungslos, wertlos und schwach. Wir hätten es keinen Monat zusammen ausgehalten. Wir waren ruhelos Suchende, wir hatten eine Liebesaffäre, die seit zwei Jahren immer mal wieder aufgewärmt wurde, nur weil wir in zwei verschiedenen Städten lebten, unsere Neigung zum Risiko war nachgerade religiös, und Amy war das letzte, was ich auf dieser Welt brauchte.
    Und du hast einen seltsamen, verschatteten Kummer gespürt, stimmt's, als du in dem Zimmer warst, eine durch die Distanz verschattete Traurigkeit, und du hast versucht, dich mitten in das ungelebte Leben des Kindes hineinzuversetzen.
    Ein paar Zimmer weiter kochte jemand, und das störte mich. Der Essensgeruch und die leisen Geräusche von Geschäftigkeit, das Öffnen von Schranktüren – das störte und verwirrte und erboste mich etwas.
    Amy war sechsundzwanzig, ein paar Wochen vor ihrem siebenundzwanzigsten Geburtstag, und sie lebte und arbeitete in Wichita. Ich war vierundzwanzig, ungefähr einen halben Kontinent entfernt, und ich wußte, halb haßte sie uns beide für das, was passiert war.
    Als Amy herauskam, ging mir auf, daß ich dem Taxifahrer nicht gesagt hatte, er solle uns wieder abholen, und wir warteten eine Zeitlang, bis die Frau anrief und jemand kam.
    Sie hatten ihr nur eine örtliche Betäubung gegeben, denn nur dafür reichte ihre Ausrüstung, und Amy fühlte sich auf der Fahrt zur Grenze nicht schwach, sie saß auf der äußersten Sitzkante, klammerte sich an den Ecken fest und wollte nicht reden.
    Die Zöllner durchsuchten das Taxi nach Schmuggelware und durchwühlten rasch unser Gepäck, und in Minutenschnelle saßen wir wieder in unserem Leihwagen.
    Ich verließ Del Rio in Richtung Osten auf der 90. Amy schlief etwas, wachte auf und hatte Durst. Direkt vor uns geriet ein Pickup ins Schleudern, einfach so, das einzige andere Fahrzeug auf der Straße, schlidderte und hüpfte, als er auf den sandigen Seitenstreifen kam, und ich fuhr langsamer, damit wir beide genauer hinschauen konnten.
    »Hat vorne und hinten verwechselt«, sagte Amy ruhig. »Das würde mein alter Opa Parker sagen. Der Pickup hat wohl vorne und hinten verwechselt.«
    Sie sprach mit müder, ruhiger Stimme, und ich fuhr langsam an dem Pickup vorbei, der wieder in die Richtung schaute, in die er schauen wollte, im Führerhaus saßen zwei

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