Unterwelt
schattenlosen weißen Schlund, die Täuschungen des Lichts, endlose Ausblicke ohne Horizont. Ein Ort, aus dem nie mehr geworden war als ein Gerücht, selbst für diejenigen, die dort stationiert waren, vor allem für sie – unbestätigte Information, ähnlich wie sein ganzes Leben.
Runter, vom Himmel runter, endlich. Als sie landeten, hörte er das heiße Kreischen der Räder und spürte, wie der Bremsfallschirm rausknallte und sie hielt. Er wußte, der »Follow me«-Wagen war da draußen auf der Rollbahn, aber er konnte ihn natürlich nicht sehen, denn er saß immer noch, ein paar Minuten noch, in dem dämmrigen Loch, umgeben von seinen Kurzwörtern.
Louis sagte: »Ich will ne Muschi, Chuckman, und zwar jetzt. Aber sie muß mich respektieren und das, was ich mache.«
»Und wofür du stehst.«
»Wofür ich stehe. Sehr gut, mein Junge. Ich merke, es kommt was bei dir an.«
Auf dem Wagen stand »Follow me«, und die Bodencrew kam schon zum Flugzeug, schleppte Schläuche, Rohre und ein Sortiment Testgeräte herbei, um eine Checkliste durchzugehen, die so lang war wie elf lange Romane zum Thema Krieg und Frieden.
»Denn wenn sie mich nicht respektiert«, sagte Louis, »fühle ich mich leer, wenns vorbei ist.«
»Ich kenne das Gefühl.«
»Das Gefühl ändert sich nie.«
»Zuerst wird gebumst.«
»Und dann gebombt«, sagte Louis.
Und es würde gar nicht lange dauern, bis das wuchtige Flugzeug wieder über die Startbahn rollte, bombengemästet, beim Start bis in den letzten Niet ächzend, hoch, raus, dahin – eine tödliche Macht am Himmel.
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7
9. NOVEMBER 1965
E s war eine Kneipe, in die man hätte reinschlendern können, wenn man die Gegend nicht kannte, eine Friedhofsbar unter einer Brückenauffahrt, und auf den ersten Blick hätte man sie für eine dieser Bars auf der Eighth Avenue halten können, die anscheinend nie schließen, Red Rose oder White Rose oder Blarney Stone, wo die Rohrleger und Textilarbeiter hingehen oder die Rennfans, die vom Turf zurückkommen, oder die Schlaflosen, die von Nirgendwo zurückkommen, ein Sandwich und ein Bier oder ein Schnaps und ein Bier, aber das hier war eine ganz andere Kategorie, ein Ort, der sich praktisch außerhalb der Zeit befand, Frankie's Tropical Bar genannt, auf der Lower East Side, und wen seh ich beim Reinkommen dasitzen, das ist doch Jeremiah Sullivan, apropos Friedhof, besonders gut sah er nicht aus.
»Seh ich recht?«
Ich sagte: »Hallo Jerry.«
»Nick Shay? Wo zum Teufel kommst du denn her?« Ich sagte: »Hallo Jerry. Wo sind wir?«
»Ich weiß, wo ich bin. Wo zum Teufel bist du ? Ich höre immer mal wieder was. Kalifornien, Arizona. Ich hab vor drei, vier Jahren deine Mutter getroffen. Wie lang ist das jetzt her? Fünfzehn Jahre?«
Ich sagte: »Ich bin eine Woche in der Stadt. Ein Forschungsprojekt für eine Firma im Mittleren Westen. Und du?«
»Tu nicht so gelassen. Fast fünfzehn verfluchte Jahre. Was trinkst du?«
»Was trinkst du?«
»Frag nicht«, sagte er. »Das nehm ich auch.«
Er schaute sich nach dem Barkeeper um, aber der Bursche war weg. Ein Mann mit bandagiertem Kopf saß am hinteren Ende der Bar und versuchte, eine Münze in ein Whiskyglas zu schnippen. Und zwei Frauen auf Barhockern, nicht weit von da, wo Jerry stand, ein paar Schnepfen aus dem Viertel, konnte man vermuten, aber sie waren nicht gemütlich oder gesprächig oder an den Gesprächen der anderen interessiert – bloß uralte, abgewrackte Schnapsdrosseln.
Wir tauschten die reinen Fakten über Wohnort und Arbeit aus, dann erstattete mir Jerry ausführlich Bericht über Leute aus unserer Kindheit, Nachrichten, die er sich wahrscheinlich für so eine Gelegenheit aufgehoben hatte, seine Anzughosen hingen unter seiner Wampe, und sein Krawattenknoten schlackerte auf Halbmast.
»Und, verheiratet, Nick?«
»Nö.«
»Oder gehst du fest mit jemand?«
»Nö. Ich hab vor einiger Zeit eine Frau aus Chicago kennengelernt. Aber die Antwort ist nein. Ich bin nicht der Typ, der heiratet. Seh mich nicht verheiratet. Bin irgendwie nicht auf Heiratskurs. Ich denke nicht mal daran.«
»Nicht in deinen wildesten Träumen. Ich, ich bin verheiratet. Zwei Kinder. Ich würd dir ja Fotos zeigen, aber du willst keine Fotos sehen.«
Der Barkeeper tauchte auf, und ich nahm einen Stinger, der über den Glasrand schwappte. Es war später Nachmittag, Dämmerlicht, hinter der Bar befand sich eine unvollendete Wandmalerei mit Palmen, und von einem Deckenbalken baumelte ein echter
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