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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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jetzt als Chiropraktiker arbeitet, die verklemmte Blondine aus der fünften Klasse, die einen puertorikanischen Preisboxer geheiratet hat.
    »Wir sollten rauffahren, Nick. Im Ernst. Dreiviertelstunde mit der U-Bahn. Wir können bei Mario was essen. Ich ruf ein paar von den Jungs an. Die freuen sich total. Die kommen dazu. Im Ernst, Mann. Komm, trink aus, wir gehen.«
    In seiner Stimme schwang eine drängende Logik mit. Er war auf der Hut und etwas zornig und halb betrunken, Feuer und Flamme für seine Idee und schon im voraus etwas zornig, argwöhnisch, daß ich einen Ausflug in die Bronx etwa nicht so wunderbar und zwingend finden könnte, daß mich die alten Zeiten etwa nicht so mitreißen könnten, und er spürte schon jetzt die Schärfe einer bitteren Kränkung.
    »Komm schon, im Ernst, wir nehmen die U-Bahn. Wir schauen bei Lofaro rein. Paar alte Gesichter. Die freuen sich, wenn du kommst, Nick.«
    Ich wollte ihn nicht abschmettern, wollte nicht wirken, als ob ich außen vor oder drüber stünde. Jerry wußte, daß ich in der Besserungsanstalt gewesen war und danach mehr oder weniger abgeschnitten von allen Nachrichten und Gerüchten, und jetzt tauchte ich hier auf, im Tweedjackett und mit einem Job, den ich mochte, sah ganz ordentlich aus, hatte aufgehört zu rauchen und trank nicht zuviel, kannte eine Frau mit einer sexy Cello-Stimme und besorgte es ihr wahrscheinlich regelmäßig, und er dagegen, netter katholischerjunge, inzwischen schlaff und ranzig, will nicht nach Hause zu Frau und Kindern in Jackson Heights, steckt sich eine Zigarette an der vorigen an und säuft bis zum Filmriß, verkauft Werbeminuten für den hinterletzten Radiosender, und alles nur, weil er nie einen umgebracht hat.
    »Das müssen wir unbedingt machen«, sagte Jerry, »mit der Taxe – das geht auf mich.«
    Ein Mann namens Jorge kam mit dem Barkeeper ins Gespräch. Jorge trug ein Tuch um den Kopf und wirkte sexuell gestört. Ich sah diese Leute nicht bloß als Stammkunden. Eher als Eingefleischte. Das war irgendwie das Wort, vom lateinischen incarnatus, und so kam es mir auch bei ihnen vor, wie ins Fleisch gewachsen, tief in die Seele gebrannt, und mir wurde langsam klar, daß Jerry hierherkam, um sein Selbstmitleid und seine nagenden praktischen Sorgen beiseite zu schieben und mit Menschen zusammenzusein, die wie in einem wahnhaften gregorianischen Gesang mit ihm redeten, eine nicht abreißende Stimme, die weder eine Bedeutung im üblichen Sinne noch ein strenges Metrum besaß, aber von tiefer drinnen kam, als er es bei der eigenen Redeweise hätte ertragen können.
    Das Licht wurde schwächer und flackerte.
    Jerry sprach mit mir, und eine Frau neben Jorge sagte irgendwas zum Barkeeper über die Optimaltemperatur von Bier, und in dem Augenblick wurde das Licht schwächer und flackerte und ging ganz aus.
    Jerry sagte gerade: »Ganz spontan. Ich rufe 'n paar von den Jungs an. Ich rufe, wie heißt er, Allie an. Das ist etwas, mein Freund, da kannst du einfach nicht nein sagen.«
    Und dann ging das Licht aus.
    Der Mann am hinteren Ende der Bar hörte auf, Quarters in sein Whiskyglas zu schnippen.
    Jemand sagte: »Das ist doch das Licht?« Wir tranken unsere Stingers, Jerry und ich. Der Barkeeper sagte: »Wißt ihr was?«
    Jemand auf dem Männerklo fing an zu reden, so laut, daß wir es hören konnten.
    Der Barkeeper sagte: »Von hier sieht's so aus, als wäre die ganze Straße ausgefallen.«
    Die erste Stimme sagte: »Das ist doch das Licht?«
    »Wahrscheinlich arbeiten die an irgendwas, das hat einen Kurzschluß gegeben«, sagte der Barkeeper. »Und ich hab keine Kerzen da.«
    Die Stimme auf dem Klo wurde lauter und aufgeregter.
    Eine der alten Frauen sagte was zu der anderen, das erste überhaupt, was eine von den beiden sagte.
    Jerry und ich tranken unsere Stingers. »Aber wißt ihr was?« sagte der Barkeeper. Jorge sprach jetzt Spanisch.
    Der Barkeeper holte eine Taschenlampe unter der Bar vor und klemmte sie zwischen zwei Flaschen auf dem Regal unter der Wandmalerei.
    Die Frau neben Jorge sprach auch Spanisch, aber schlecht, und zwar mit dem Mann auf dem Klo.
    Der Barkeeper ging zur Tür.
    »Ich dachte, Allie wäre in Korea gefallen.«
    »Das war Viggiano. Korea.«
    »Auf'ne Mine getreten, dachte ich.«
    »Das war Mike. Auf'ne Mine getreten. Viggiano.«
    Die beiden alten Frauen waren wieder still, hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, saßen da und tranken.
    »Du willst mir also erzählen, all die Jahre.«
    »Bist du mit dem

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