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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Zieldatenanzeige und seinem Urinal und seiner Thermostasse. Alles, was man sich für ein erfülltes Leben am Himmel wünscht.
    Louis sagte: »Pilot, hier spricht der Irre Bomber. Abwurf in schneller Folge. Noch einhundertzwanzig Sekunden.«
    Bobby Thomson und Ralph Branca sagten Chuckie gar nichts. Verschwommene Namen aus seiner unsteten Kindheit. Die Erinnerung an den Baseball selbst, die Nacht des Baseballs – verschwommen und unstet und trübe.
    Louis sprach durch ein tränenäugiges Gähnen.
    »Pilot, drei Grad nach rechts. Hold. Bombenabwurfklappen auf. Check. Noch sechzig Sekunden bis zum Abwurf.«
    So viele Flüge, all diese ununterscheidbaren Bomben. Chuckie war früher von den Bombardements begeistert gewesen, aber jetzt nicht mehr. Er hatte früher einen bitteren, grollenden Sado-Genuß verspürt, es ihnen allen für sein Leben heimgezahlt, es an der Landschaft und der Zivilbevölkerung ausgelassen. Er war stolzes Mitglied eines Bombergeschwaders gewesen, das Millionen Tonnen Ladung aus den Aufhängungen und Klappen warf. Die Bomben segelten gleichermaßen auf die NVA wie auf die ARVN, denn wenn die Truppen beider Seiten sich ziemlich ähnlich sehen und ihre Kurzwörter aus ziemlich denselben Buchstaben bestehen, dann muß man beide Seiten bombardieren, um zufriedenstellende Resultate zu erzielen. Die Bomben fielen auch auf die Vietcong, die Viet Minh, die Franzosen, die Laoten, die Kambodschaner, die Pathet Lao, die Roten Khmer, die Montagnards, die Hmong, die Maoisten, die Taoisten, die Buddhisten, die Mönche, die Nonnen, die Reisbauern, die Schweinebauern, die Studentenprotestler und Kriegsverweigerer und Blumenkinder, die Chicago 7, die Chicago 8, die Catonsville 9 – die waren alle so ziemlich der Feind. Louis brummelte weiter.
    »Weiter so, weiter, weiter. Jetzt auf Automatik. Ton hörbar. Ten seconds, nine, eight, seven.«
    Auf diesem Flug nur Fünfhundertpfünder, schlank und ziemlich schwach, hundertacht davon fielen durch Louis' träge Berührung auf das Ziel Ho-Chi-Minh-Pfad. Diese Mission basierte auf den bekloppten Analysen von Bildauswertern, die ihre Tage und Nächte damit zubrachten, die winzig kleinen Kleckse auf praktisch identischen Bildern der endlos über ihre Augäpfel rollenden Aufklärungsfilme anzustarren, genau so, dachte Chuckie, wie die Bomben endlos aus den B-52 herabfielen.
    Louis brummelte weiter.
    »Six, five, four.«
    Und Chuckie dachte an die Ballade von Louis Bakey, eine Geschichte, die der Richtschütze nie müde wurde zu erzählen und die nie hätte zu Ende gehen sollen, wenn's nach dem Navigator gegangen wäre, denn sie war wie ein großartiges Negerspiritual, bei dem einem das ganze Gesicht vor Ehrerbietung und Scheu brennt.
    Wie Louis aus der Richtschützen-Schule stolziert kommt und sich in der Besatzung einer B-52 wiederfindet, in sechsundzwanzig-tausend Fuß Höhe über dem Testgelände in Nevada, um den Abwurf einer Atombombe von fünfzig Kilotonnen zu simulieren.
    Zu simulieren, wohlgemerkt, während eine richtige Bombe genau dieses Kalibers von einer Abschußrampe direkt unter dem Flugzeug gezündet wird.
    Mit der Überlegung, Mal sehen, wie das Flugzeug und die Besatzung reagieren, wie Metall und Körper auf den Blitz, die Explosion, die Erschütterung, den Anblick und so weiter reagieren.
    Und wenn sie das mehr oder weniger heil überstehen, lassen wir sie vielleicht eines Tages ihre eigene Bombe abwerfen.
    Das ganze Flugzeug ist verdunkelt. Fenster mit stanniolüberzogenen Schilden abgedeckt. Die Besatzung hält sich Kissen auf die Augen. Nylonkissen, die für Louis faszinierenderweise nach Frauenunterwäsche riechen.
    Ein freiwilliger Sanitäter hockt auf einem Notsitz, ihm hängen zehn Zentimeter Faden aus dem Mund, mit einem Teebeutelschildchen am Ende. Den Rest des Fadens hat er verschluckt, zusammen mit der daran befestigten, von Aluminiumgel überzogenen Röntgenplatte, die irgendwo unterhalb der Speiseröhre baumelt, um die Strahlung zu messen, die durch seinen Körper geht.
    Louis zählt seinen Übungscountdown und wartet auf den Blitz. Ein starker, unsterblicher junger Mann auf einer edlen Mission.
    »Three, two, one.«
    Dann wird die Welt hell. Ein Glühen fährt in den Körper, wie die Berührung Gottes. Und Louis kann die Knochen seiner Hände durch die geschlossenen Augen sehen, durch das dicke Kissen, das er sich aufs Gesicht preßt.
    Ich bewege den Kopf hin und her, da tanzen ganze Skelette im Blitz. Der Navigator, der Navigationslehrer, der

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