Unterwelt
und uns hilflos im Rattenaugendunkel zurücklassen würde und wir uns fragen müßten, nicht anders als ich jetzt, wie das ganze Ding überhaupt funktionierte.
Ich ging ostwärts auf der 96. Straße. Allmählich leer und tot, Läden geschlossen, Bushaltestellen verlassen, Telefonzellen unbenutzt. Das Ego fort und das Schwindelgefühl mit ihm, eine Stadt ohne ihren Salsa-Schwung, und ein Wagen hielt am Mittelstreifen, irgendein Mittelklassewagen in Gegenrichtung, und der Fahrer streckte den Kopf in den böigen Wind raus und rief zu mir herüber.
Ich sagte: »Was?«
»Wohin geht's? Ich fahr Sie. Billig.«
Ich schaute ihn an. Ich war froh, daß ich nicht mit Jerry gegangen war. Es wäre tödlich gewesen. Es wäre Schrott gewesen. Ich hätte mir diesen ganzen Schrott nicht anhören können. Ich stieg ein und sagte dem Typen, wo mein Hotel lag. Ich wollte Marian von meinem Zimmer aus anrufen, falls die Telefone funktionierten, Marian Bowman, und ihr erzählen, was hier passierte, und sie fragen, was sie dort drüben davon wußten.
Im Armaturenbrett war ein Loch, wo das Radio hätte sein sollen. Aber ich fragte den Typ, ob er irgendwelche Nachrichten gehört hätte.
»Alles ausgefallen. Ganz Maine ausgefallen. Boston, Massachusetts. Pennsylvania, wo meine Schwester lebt. Ontario, Kanada. Ein Riesending.«
Ich lehnte mich zurück und ließ die Straßen an mir vorbeirollen und sah, was ich im Mondschein sehen konnte.
Drei Jahre später würden wir heiraten. Unsere Tochter würde 1970 zur Welt kommen, in dem Jahr, als eine kleine radikale Gruppe ein Bombenattentat auf das Mathematische Forschungsinstitut der Armee an der Uni Wisconsin in Marians Big Ten Town unternahm, sie steckten ein Auto voller Düngemittel und Heizöl an. Ein Toter, fünf Verletzte.
Zwei Jahre darauf würden wir einen Sohn bekommen. Kinder. Das lag mir fern, damals, als ich im Wagen des Rumänen oder Griechen saß. Heiraten lag mir fern. Vaterschaft, ein verschwommenes Bedauern irgendwo im Küchendunst einer anderen Welt. Die Jahrzehnte nicht unbedingt verheißungslos, aber noch in der Ferne, und vielleicht auch verheißungslos, in diesem Phantom-Manhattan, wo sich nur ein paar Streuner rührten und die Dunkelheit so dicht war, daß sie sich mit Händen greifen ließ.
Ich schaute durch das staubige Autofenster des Griechen und konnte die Vergangenheit sehen, unablässig, aber die Zukunft konnte ich nicht heraufbeschwören, nicht einmal in Zeichentrickpointen, den starken, hellen Sonntag der Welt.
Wir fuhren den restlichen Weg ohne ein Wort.
Und wie gewaltig die Nacht war. Man konnte spüren, wie sie sich ausdehnte, wenn man auf einem Bürgersteig nicht weit vom Times Square stand und eine halbe Meile entfernt eine Sirene jaulte.
Ich schaute mir die Kerzen auf dem Schreibtisch in der Eingangshalle an. Die Eingangshalle war leer, und die aufgereihten Kerzen warfen ihr Licht hoch an die Wände. Der Hotelangestellte kam aus irgendeinem Zimmer hervor.
»Ich könnte Sie nach oben bringen, aber ehrlich gesagt.«
»Nicht nötig.«
»Ich hab schon so viele raufgebracht, ich kann sie gar nicht mehr zählen.«
»Ich nehm mir einfach eine Kerze mit.«
Der Angestellte hatte eine Taschenlampe. Er gestikulierte beim Sprechen, und der Strahl schwang in der kleinen Eingangshalle hin und her.
»Ich hab mir was am Rücken geholt von all dem Treppensteigen«, sagte er. »Aber ich habe die Kerze hier angezündet, zum Mitnehmen, falls irgendwelche Leute hier reinkommen und kein Streichholz haben.«
Ich nahm eine Kerze und stieg die Treppe in den fünften Stock hoch. Als ich ins Zimmer kam, ging ich gleich ans Fenster, um zu sehen, wie die Nacht von hier oben aussah.
Ich rief Marian nicht an. Ich verspürte eine Einsamkeit, ein besseres Wort fiel mir nicht ein, aber das war genau das Wort, etwas, das ich nie hatte zugeben wollen und dem ich mich zu entziehen wußte, aber manchmal reichte nicht einmal das, und ich rief sie nicht an, weil ich nicht nachgeben wollte, während ich auf die immer undurchdringlicher werdende Nacht hinabschaute.
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Manx Martin 3
E r geht an dem geschwungenen Fundament der Stadionmauer entlang, unter der blau-weißen Markise, und er ist auf der Pirsch nach einer leichten Beute.
Er befindet sich mitten in der Menge, einem großen, unruhigen Schwärm, Ellbogen und Schultern, plötzlich vorspringende Gesichter, Auge in Auge, und immer noch kommen sie von der Hochbahnstation herunter, Männer und Jungen, redend und johlend, und
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