Unterwelt
für die billigen Plätze bildet sich schon eine Schlange, obwohl die Tore erst morgen früh um neun geöffnet werden, das dauert noch Stunden, und sie kommen aus der U-Bahn nach oben und strömen aus den Straßen des Viertels, und er geht noch ein Stückchen, mitgerissen vom Ausbruch der Gefühle, den flatternden Fähnchen und den Emblemen, die die hohe Mauer schmücken, und es gibt eine zweite Schlange für Stehplätze, essende und trinkende Männer, einige sitzen in Decken gehüllt auf Strandstühlen, und Manx geht durch Wolken von Zigarrenrauch und sieht hie und da Flachmänner mit Whiskey, Deckel am Kettchen.
Und was macht er jetzt? Sucht er nach einem Brausekopf aus Harlem, einem siegesgeschwellten Giants-Fan, der bereit ist, ein paar Dollar für ein echtes, ein einmaliges Souvenir auszuspucken?
Läuft nicht, denkt Manx. Kein Schwarzer wird auch nur ein Wort von dem glauben, was er sagt. Die denken, noch so'n Idiot, der sie wegen einsfuffzig anbaggern will. Ein Schwarzer wird ihn mit dem frechen Blick niederstarren, den er selbst für jede unverschämte Verschwörung gegen seine Person auf Lager hat.
Nein. Muß auf weiß setzen. Einzige Chance. Außerdem sind die meisten hier weiß, reines Spiel mit dem Prozentsatz.
Ein glückliches Brummen. Die Straße ist ein einziges Surren und Brummen, ein stetiges Rauschen von Reden und Singen und Leuten, die sich gutgelaunt etwas zurufen.
Manx geht auf zwei Männer zu. Er tut das spontan, aus einem Warum-nicht heraus, und weil er nicht die ganze Nacht herumstehen und Gesichter mustern und Chancen abschätzen will, obwohl er genau das eigentlich tun sollte, und das weiß er, und er hatte es auch vor, aber wie das Leben so spielt, haben die ausgeklügeltsten Pläne die Angewohnheit, in sich zusammenzufallen.
Seine Hand packt den Baseball. Er hat seine Hand auf der Außenseite der Jackentasche und packt den Ball durch den Stoff.
Und in guter Stimmung. In Anwesenheit von zwei größer werdenden Fangruppen, Giants und Yankees, beide Gewinner dieses Jahr – ein glückliches, stetiges, einladendes Rauschen, das ihn aufrichtet und ihm Mut macht.
Er geht auf zwei Männer zu, die vor einem der Schalter in der Schlange stehen. Entschuldigung. Hab hier was, das Sie vielleicht interessiert. Er redet mit ihnen. Er erzählt ihnen von dem Baseball, das ist der Baseball, den der Bursche in die Tribüne geschlagen hat, der Home Run, der das Spiel entschieden hat, und je länger er redet, desto unglaubwürdiger findet er sich selbst. Er kann kaum glauben, daß er das ist, der da so redet. Seine Stimme klingt, als käme sie aus einer Luftmatratze, bei der gerade einer den Stöpsel rausgezogen hat.
Die beiden Männer scheinen einen Schritt zurückzutreten, obwohl er in ihren Augen weniger die tatsächliche Bewegung als das Bedürfnis danach sieht.
»Ich sage nur, was Sache ist. Egal wie es sich anhört«, sagt er, »das ist heute im Stadion auf der anderen Seite des Flusses passiert«, und er weiß, er rackert sich ab, um wieder ein bißchen Selbstachtung aufzubauen – mal ganz abgesehen von dem Geschäftsabschluß.
Der eine Typ sagt: »Glaub nicht, nee. Nicht interessiert. Du etwa?«
Der andere Typ sagt: »Nicht interessiert.«
Manx holt den Ball aus der Tasche. Er weiß nicht genau, warum er das tut, denn das beweist gar nichts, nur daß er einen Ball hat, zumindest hat er einen Ball, und er hält ihn ziemlich genauso, wie ihn sein Sohn Cotter früher am Abend gehalten hat, mit der einen Hand greift er ihn, mit der anderen dreht er ihn, starrt sie herausfordernd und hart an.
Dann macht er kehrt und geht fort, spürt ihre Blicke, sieht so deutlich ihr Grinsen, daß er es mit dem Bleistift zeichnen könnte, und läßt die Schultern hängen, jeden Schritt etwas tiefer, ein leichtes Knistern hinten im Nacken.
Er geht ein Stückchen.
Er hat immer gedacht, er sollte sich mal einen Flachmann anschaffen, flach genug, um bequem in seine Tasche zu passen, mit einem Deckel am Kettchen.
Er steckt den Ball wieder in die Tasche und geht an den hölzernen Absperrungen bei Eingang 4 vorbei nach draußen.
Gibt Typen, die kommen hierher und denken, ihnen gehört die Welt.
Ihm fällt ein, daß er einen Brief schreiben soll, eine Entschuldigung für seinen Sohn, für die Schule, weil er 39 Fieber hat, aber das ist ein Geheimnis, von dem die Mutter des Jungen nichts erfahren darf. Nicht das Fieber, sondern der Brief. Das Fieber ist eine erfundene Geschichte.
Er steht da und schaut eine
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