Unterwelt
es dauert nicht lange, bis er sich in das Mädchen verliebt, ja, in ihre reinen Augen und die Knie mit den Grübchen und ihren süßen, wolligen Venushügel. Er beschließt, sie aus diesem schmutzigen Leben zu erretten, und kauft sie für eine Riesensumme Geld der Puffmutter regelrecht ab und bringt sie auf sein Anwesen auf einem Hügel am Hudson River, wo er ganze Mannschaften von Ärzten, Privatlehrern, Psychologen und Ernährungsspezialisten auf sie losläßt und beobachtet, wie das Mädchen sich intellektuell entwickelt und zu einer gesunden jungen Frau heranwächst, die vier Sprachen spricht und sich auch an der Oboe gelehrig anstellt.
Hier machte Lenny eine Pause und wies daraufhin, daß das Ende, die Pointe, irgendeinen Rückfall ins Klischee aufweisen würde, das Mädchen würde etwas tun, das die Macht einer einzigen alten, schockierenden Gewohnheit über eine beliebige Anzahl zivilisierender Einflüsse demonstrierte.
Dann sagte er: »Nein, ja, halt. Falsch rum. Nicht das Mädchen hat einen Rückfall, sondern der Mann. Kapiert? Er gehört zu den Typen, die jede ihrer Handlungen in Frage stellen müssen. Er fängt an zu überlegen. Ist sie ein verdorbenes Kind oder eine Künstlerin? Ist sie noch gar nicht zum Abschuß freigegeben oder eine Heilige? Mit anderen Worten, hat er einen furchtbaren Fehler gemacht, sie herzubringen und auszubilden und die Zigaretten aus ihrem Leben zu verbannen? Und ihm fallen die rasenden Nächte von San Juan wieder ein.« Lenny verpaßte dem Namen der Stadt ein echtes gutturales Grollen. »Ja, diese Nächte im Keller des verstunkenen Bordells, wo sie aufgetreten ist. Gib's zu, du Narr. Du hast eine merkwürdige, krasse, wunderschöne und gespenstische Perversion zerstört und durch eine öde Oboe ersetzt. Auf der sie übrigens unablässig spielt. Und die sowieso eigentlich eine verschobene Version der king-size Kent ist, normalisiert und konzertisiert.«
Lenny stand seitlich da, Mikro in der Hand, und strich sich übers Kinn.
»Er sehnt sich danach, Rauchringe aus ihrer Muschi kommen zu sehen, ihrer Spalte. Zuerst die Zigarette zwischen ihren dürren Beinen. Dann die aufsteigenden Ringe. Als er sie der Puffmutter abgekauft hat, war sie fast so weit, die Ringe ineinander zu schlingen, was entweder ein Symbol der heiligen Dreifaltigkeit ist, Vater, Sohn und Heiliger Geist, oder das Bier-Logo von Ballantine – Reinheit, Fülle und Geschmack. So oder so, man stelle sich mal vor, was das für ein Kick für ihn gewesen wäre.«
Er schaute nachdenklich in die Seitenkulissen.
»Sie heiraten in einer rauchfreien Zeremonie auf dem weiten, wogenden Rasen. In ihrer Hochzeitsnacht steht sie, immer noch unberührt, im Négligé am Westfenster. Er kommt in Pyjama und Smokingjacke herein, bringt ihr eine Zigarette mit Zigarettenspitze, eine unangezündete king-size Kent.«
Aber er war sich nicht sicher, wie er es zu Ende bringen sollte.
»Er nimmt die Zigarette aus der Spitze und hält sie ihr hin, mit einem Blick auf den dunklen Schatten, der sich unter ihrem Négligé wölbt. Entsetzt weicht sie zurück. Sie sagt, Du bist ja wahnsinnig. Sie sagt es in vier Sprachen. Sie sagt fast alles in vier Sprachen, eine Gewohnheit, die ihn langsam rasend macht.«
Dann fiel Lenny etwas Besseres ein, tiefer und provozierender.
»Halt, hört zu, nein. Der Millionär ist ein Mythos, nicht wahr? Wir haben ihn in die Geschichte gepackt, weil wir einen reichen, schwachen Menschenfreund brauchten, was, einen respektablen Weltverbesserer, der sich selbst etwas vormacht und am Ende seine Verderbtheit zeigt. Wir haben ihn erfunden. Aber jetzt sagen wir die Wahrheit.«
Er spürte Enttäuschung da draußen. Sie wollten die Hochzeitsnacht, das Négligé, das Boudoir, das beiläufige grausame Ende, wie in seinem Sketch über den Jungen, der von Wölfen aufgezogen wird, in der Wildnis gefunden, ernährt, erzogen, ausgebildet wird, der einen Abschluß mit Auszeichnung am Massachusetts Institute of Technology macht und eine Woche später zu Tode kommt, als er im Auto die Straße entlangjagt.
»Wir sagen jetzt die Wahrheit«, sagte er. »Keiner hat das Mädchen von einem Leben der Perversion erlöst. Sie ist aus eigener Initiative aus dem Bordell geflüchtet. Sie hat all das spärliche Trinkgeld auf die hohe Kante gelegt, das ihr die Kunden gegeben hatten, und das Flugzeug genommen, die Kakerlakenmühle nach New York, um ihre Mutter zu finden, die gar nicht tot war – noch so ein einfacher Mythos.«
Scheiße,
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