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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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füllte das Mädchen die Tassen aus einer Maschine. Pater Paulus wartete, bis sie seine Tasse über den Tisch geschoben hatte, damit er sich den aromatischen Duft ins Gesicht steigen lassen konnte.
    Dann sagte er: »Zeit, Albert. Ihr beide müßt übrigens bereit sein, einen wesentlich höheren Preis zu zahlen. Stunden und Tage. Ganze Tage beim Schach. Tage und Wochen.«
    Bronzini hatte seine Eröffnung, endlich.
    »Und wenn ich nicht bereit bin? Wärst du es? Oder nicht imstande. Wenn ich nicht imstande bin, es zu tun. Der Aufgabe nicht gewachsen. Wärst du es, Andy?«
    Der Priester betrachtete den Knoten in Alberts Krawatte.
    »Ich dachte, du wolltest einen Rat.«
    »Will ich auch.«
    »Bitte. Denkst du, ich würde es auch nur in Erwägung ziehen, dem Jungen Privatunterricht zu geben ? Albert, bitte. Ich hab auch so schon ein ausgefülltes Leben.«
    »Du bist wesentlich fortgeschrittener als ich, Pater. Du spielst Turniere. Du verstehst die Psychologie des Spiels.«
    Paulus saß aufrecht auf seinem Stuhl und zog sich, so wie es aussah, förmlich auf eine objektivere Gesprächsebene zurück.
    »Theorien über die Psychologie des Spiels lassen mich ehrlich gesagt kalt. Bei dem Spiel geht es um Ort, Situation und Gedächtnis. Und das Bedürfnis zu siegen. Die Psychologie liegt im Spieler, nicht im Spiel. Er muß die Nähe der Gefahr genießen. Er braucht einen Killerinstinkt. Er muß stolz, arrogant, aggressiv, verächtlich und dominant sein. Extrem willensstark. Alles Sünden der nichtfleischlichen Art, Albert.«
    Gezüchtigt und kleingemacht. Aber Albert spürte, daß er sich das selbst eingehandelt hatte. Die Bemerkungen des Mannes zielten natürlich darauf ab, daß er selber seine Begabung schleifen ließ, nicht der Junge. Auf sein selbstgefälliges, bequemes Tempo.
    »Potentiell hat er die Stärke zum Meister.«
    »Paß auf, ich bin bereit, mich bei ein oder zwei Partien dazuzusetzen. Dir ein paar Tips zu geben, wenn ich kann. Aber sein Lehrer will ich nicht sein. Nein nein nein nein.«
    Jetzt erschien die Großmutter mit einer offenen Flasche Anisette, die an der Öffnung verkrustet war. Als Bronzini sie fragte, wie es ihr gehe, ließ sie den Kopf vor- und zurückwackeln. Der Likör war eine Geste, die ausgewählten Kunden vorbehalten blieb und die man sich lange verdienen mußte. Sie goß ein fahles Schlückchen in jede Espressotasse, und der Priester errötete leicht, wie anscheinend immer, wenn ihm Menschen näherkamen, die deutlich anders waren als er. Ihr unbekanntes Leben verunsicherte ihn, ließ sein Lächeln gefrieren und legte eine steife Röte der Ehrerbietung auf seine Wangen.
    Sie ging ohne ein Wort. Sie schauten ihr nach, wie sie mondlangsam in den dämmrigen inneren Raum glitt.
    »Ich weiß nicht, was ich dir zu dem älteren Bruder sagen soll«, sagte Paulus.
    »Macht nichts. Ich hab nur gefragt, weil mich die Mutter gefragt hat. Es wird sich schon alles regeln.«
    »Wir haben eine Idee, einige von uns, die langsam Gestalt annimmt. Eine neue Art von Kollegium. Engerer Kontakt, einfache Strukturen. Vielleicht unterrichten wir Latein als gesprochene Sprache. Vielleicht unterrichten wir Mathematik als Kunstform, wie Dichtung oder Musik. Wir werden Fächer unterrichten, deren Notwendigkeit den Leuten gar nicht bewußt ist. Und all das wird irgendwo im Hinterland stattfinden. Dafür wollen wir ganz besondere Jungen. Besondere Umstände«, sagte Paulus. »Weil sie etwas sind. Oder etwas getan haben. Jedenfalls etwas Besonderes.«
    Als sie sich zum Gehen erhoben und der Priester seine Bücher einsammelte, nahm Bronzini seine Tasse, die des Priesters und leerte den Bodensatz, indem er flugs den Kopf nach hinten kippte – Espressosatz, mit Anisette getränkt.
    Sie gaben sich die Hand und verabredeten vage, in Verbindung zu bleiben, und Pater Paulus machte sich auf den kurzen Rückweg zum Campus der Fordham-Uni, und Albert fiel ein, daß er seinen eigenen Vorschlag, noch in die Spielstraße rüberzugehen, vergessen hatte. Schade. Vielleicht hätte das Treffen dann versöhnlicher geendet.
    Doch als er an der Straße vorbeikam, hatte sie sich fast völlig geleert. Ein paar Jungen spielten immer noch Ringolievio, aufs Geratewohl und mit halbem Tempo, der tölpelige fette Junge saß im Käfig fest, Du bist’s, immer gefangen, immer es, der leicht zwittrige Butterfettkloß, der Junge, der sich immer bückt, um eine Schlabbersocke hochzuziehen, und von den Schlaubergern und Sadisten einen schnellen Tritt

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