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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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großartigsten, blondesten Riesentittengöttin, die Hollywood hervorbringen kann. Ich will es mit ihr auf die schlimmste Art und Weise treiben, die nur möglich ist, und das meine ich in jeder Hinsicht.«
    Der kleine Kopf voller Zähne schwebte herausfordernd selbstgefällig über dem Tisch. Bronzini fühlte sich belohnt. Bei einigen früheren Anlässen hatte er den Priester mit in Geschäfte genommen und ihm dabei zugeschaut, wie er vom herbstrosa Parmaschinken kostete, durchsichtig dünn geschnitten, und er hatte Erklärungen zu Schweineblutpasteten und gesalzenen Kabeljauscheiben beigesteuert. Der Besucher zeigte Gefallen an der europäischen Atmosphäre der Straßen, daran, daß die Dinge auf die alte, langsame, gottergebene Weise getan wurden, überlieferte Dinge, durchdrungen von den Regeln des Gebrauchs. Dies ist die einzige Kunst, die ich beherrsche, Pater – durch diese Straßen zu gehen und die Sinne aufnehmen zu lassen, was hier stets gleichbleibt. Und Bronzini begleitete den Priester in den stechenden Gestank des Hühnermarktes und schob ihn auf die alte Waage zu, die von der Decke hing, einen gefesselten Vogel in der Waagschale, und erklärte ihm, daß der Geflügelverkäufer zwanzig Cents extra bekommt, um den Vogel zu schlachten und zu rupfen – sagen Sie etwas auf lateinisch, Pater –, und er spürte das Schaudern des Priesters, als der ungerührte Neapolitaner dem Huhn den Hals umdrehte – ein drahtiger Mann mit Federn im Hemd.
    »Wenn ich nicht ein so langweiliger Ehemann wäre, könnten wir hier sitzen und uns bis tief in die Nacht Geschichten erzählen.«
    »Deine wären echt, meine die pure Phantasie.«
    Die Beichte des Priesters war lustig und traurig und überzeugte Albert, daß der andere ihn gern um sich hatte, wenn nicht gar als vertrauten Freund betrachtete. Es machte ihm Spaß, dem Priester die vielschichtigen Ablagerungen in der Umgebung vorzuführen, wo kleine Geschichten sich hinter einer Geste oder einem Wort verbargen, aber allmählich befürchtete er, Andys Reaktion würde nie über die Ebene anerkennenden Interesses hinausgehen.
    »Und als du jung warst.«
    »Ob ich je verliebt war? Bis über beide Ohren, mit sieben oder acht, rettungslos. Hundertprozentig, Albert. Noch vor den schweren Hormonen. Da gab es eine Kleine, die hieß Dings oder Bums.«
    »Ich kenn einen Weg, den sollten wir mal machen. Ganz in der Nähe gibt es eine Spielstraße. Ich glaube, es würde dir gefallen, eine Zeitlang unter Kindern zu sein. Das ist eine aussterbende Gewohnheit, spielende Kinder auf Stadtstraßen. Wir trinken hier aus und gehen. Noch eine halbe Tasse.«
    Er winkte dem Mädchen.
    »Kennst du das berühmte alte Gemälde, Albert? Kinder beim Spielen. Unmengen von Kindern auf einem Marktplatz. Ein Bild, ungefähr vierhundert Jahre alt, und es ist ein Schock, wenn du viele Spiele wiedererkennst, die wir selber gespielt haben. Spiele, die heute noch gespielt werden.«
    »Ich bin pessimistisch, meinst du.«
    »Kinder finden einen Weg. Sie weichen der Zeit sozusagen aus, und auch den Verwüstungen des Fortschritts. Ich glaube, sie handeln überhaupt nach einem ganz anderen Zeitschema. Stell dir vor, du stehst in einem Waldstück und wirfst Steine in den Wipfel eines Kastanienbaums, um die härtesten Kastanien runterzuholen. Die ja ganz oben hängen sollen. Du wirfst den ganzen Tag Steine, wenn's sein muß, und nimmst die beste Kastanie mit nach Hause und legst sie in Salzwasser ein.«
    »Wir haben Essig genommen.«
    »Dann in Essig.«
    »Wir Italiener«, sagte Albert.
    »Weichst sie ein, um sie hart und kampftauglich zu machen. Und bohrst mit einem Spieß ein Loch durch die Kastanie und ziehst einen festen Schuhriemen hindurch, der lang genug ist, um ihn zwei- oder dreimal um die Hand zu wickeln. Ich hab das ganz lebhaft vor Augen. Natürlich machst du einen Knoten, um die Kastanie fest am Riemen zu halten. Wenn's geht, einen ungegerbten Lederriemen.«
    »Und dann beginnt das Spiel.«
    »Ja, du läßt deine Kastanie baumeln, und ich schleudere meine wie einen wirbelnden Derwisch, schmettere meine eigene dagegen. Aber eigentlich geht es darum, das Ding erst mal zu finden und einzuweichen, sich diese Zeit zu nehmen. Zeit, wie wir sie heute kennen, gab es damals noch gar nicht.«
    »Ich bin jedes Jahr um diese Zeit durch den Zoo gelaufen, um heruntergefallene Kastanien zu sammeln«, sagte Bronzini.
    »Roßkastanien.«
    »Roßkastanien.«
    »Zeit«, sagte der Priester.
    Am anderen Ende des Raums

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