Unterwelt
mit fliegenden Fahnen herein, Andrew Paulus S . J ., klein und behaglich gebaut, mit vorgerecktem Kopf und so einem Spuckeglitzern im Lächeln.
Bücher und Aktenhefter rutschten an seiner Hüfte herunter, aber er schaffte es gerade so, einen Schwung verkrüppelter Finger auszustrecken, die Albert mit beiden Händen umfaßte, drückte und schüttelte, halb aus seinem Stuhl aufstehend. Es brauchte einen Moment unbeholfener Förmlichkeit mit überlappenden Begrüßungen und unbeachteten Fragen und einem fallengelassenen Buch und einem Wettlauf, es wieder aufzuheben, bevor die beiden Männer sich am Tisch niedergelassen und alle Gegenstände weggeräumt hatten. Der Priester stieß, wie es so schön heißt, einen tiefen Seufzer aus. Er trug einen Priesterkragen, der an einem lätzchenartigen Stück Stoff namens Rabat befestigt war, und darüber eine dunkle Jacke mit viereckiger Brusttasche, er hätte der maßgeschneiderte Meister von George dem Kellner sein können, nur in Schwarzweiß.
»Wie spät bin ich dran?«
»Sie sind überhaupt nicht zu spät dran.«
»Ich halte ein Seminar über das Wissen. Macht einen Riesenspaß, aber ich komme vom Hundertsten ins Tausendste.«
»Nein, Sie sind früh dran«, sagte Bronzini. »Wie wir wissen, was wir wissen.«
Man mußte Andrew Paulus schon sehr genau anschauen, um Spuren des Alterns zu entdecken. Faltenlos und seltsam leuchtend, mit einem leichten, gebackenen Schmelz, der seine Haut rosig und frisch hielt. Hellbraunes Haar, in einem jungenhaften Pony ungleichmäßig in die Stirn fallend. Bronzini überlegte, ob das wohl mit Männern passierte, die der bestrickenden Berührung und Liebe einer Frau abschworen. Sie blieben Kinder, erhalten in reinem und eisigem Licht. Aber überall liefen Gemeindepriester herum, triefäugig und hinkend, deren alte Litaneien monoton raunend von der Kanzel fielen. Er beschloß, daß dieser Mann nicht jugendlich, sondern vielmehr alterslos war. Er war bestimmt dreißigjahre älter als Albert, und kein Augenlid zuckte, keine kleine graue Stoppel zeigte sich am Kinn.
»Haben Sie die Zeitung gesehen, Pater?«
»Bitte, wir kennen uns doch gut genug. Du mußt mich jetzt Andy nennen. Ja, ich habe einen langen Blick auf die Daily News von jemand anders geworfen. Sie nennen es den Schuß, der um die Welt zu hören war.«
»Ich frage mich, wie wir die Explosion nachweisen konnten. Wir haben wahrscheinlich Flugzeuge, die in der Nähe ihrer Grenzen entlangfliegen und mit Instrumenten die Strahlung messen. Oder vielleicht gut plazierte Agenten.«
»Nein nein nein nein. Wir reden von dem Home Run. Von Bobby Thomsons heldenhaftem Schlag. Die Regenbogenpresse hat beschlossen, daß dieser Schlag in die Geschichte eingeht.«
Bronzini mußte innehalten, um das zu verdauen.
»Der Schuß, der um die Welt zu hören war? Ob die restliche Welt daran so interessiert ist? Es geht um Baseball. Ich hab ja kaum davon gewußt. Mir war selber kaum klar, daß da etwas lief. Um die Welt zu hören? Ich hab ihn beinahe ganz verpaßt.«
»Wir können annehmen, daß sich der Begriff darauf bezieht, daß der Schlag so plötzlich kam, und auf die entsprechende Geschwindigkeit, mit der sich Nachrichten heutzutage verbreiten. Unsere Soldaten in Grönland und Japan haben den Home Run ganz sicher gehört, denn das Spiel lief über das Radio der Streitkräfte. Du hast natürlich recht. Darüber wird in den Kaffeehäusern von Budapest nicht gesprochen. Obwohl der arme Ralph Branca zufällig halber Ungar ist. Sohn von Einwanderern. Sowohl Branca als auch Thomson. Bobby ist, glaube ich, sogar noch in Schottland geboren. Du verstehst, warum unsere Siege und Niederlagen durchaus Auswirkungen über unsere Grenzen hinaus haben können.«
»Offenbar verfolgst du Baseball.«
»Nur eine ferne Erinnerung. Aber die Berichte von heute habe ich tatsächlich verschlungen. Es ist überall im Radio davon die Rede. Irgend etwas hat dieses Ereignis mit aller Kraft in die öffentliche Phantasie hineinkatapultiert. Den ganzen Tag ist Bewegung in der Luft.«
»Ich verfolge das Spiel überhaupt nicht«, sagte Bronzini.
Er versank in reumütigen Gedanken. Das Mädchen erschien wieder, mürrisch, in einer schlaffen Bluse und Schlurfmokassins. Nur vier Tische, und ihrer als einziger besetzt. Die schlichte Einrichtung, die zeitgefrorene Muffigkeit in der Luft, Spuren vertrauter Gerüche, selbst die Tochter unzufrieden – alles zeugte von einem Leitmotiv, etwas Unmalerischem, das der Priester, wie
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