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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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obersten Stockwerk, und an den folgenden Tagen, warmen Tagen mit kühlen Abenden, wenn der Wasserwagen die Straßen sprühte und Schmutz und Sand durch die Gosse flössen – da gab es viele Tage, an denen Rosemary an dem schmalen Haus, Nummer 607, vorbeiging und über die alte Frau nachdachte, Bettina, die im Keller mit ihren Freundinnen den Rosenkranz betete, den freudenreichen Rosenkranz montags und donnerstags, den schmerzhaften dienstags und freitags, den glorreichen und so weiter, aber wahrscheinlich hielten sie sich gar nicht an eine feste Reihenfolge, nein, nicht diese Frauen, denn Frauen wie sie, die trugen am Tag des Heiligen Antonius Mönchskutten, Frauen und auch Kinder in braunen Kutten und barfuß, und die Statue wippte über ihnen, und das war erstaunlich und merkwürdig und eindrucksvoll, fand Rosemary, und solche Frauen sprachen ihre Gebete ohne Rücksicht auf irgendwelche Zeitpläne.
    Sie war zu scheu, um an die Tür zu klopfen, aber sie stellte sich gern die Frauen vor, die um den Tisch herum saßen, große Perlen für das Vaterunser, kleine Perlen für das Ave Maria.
    Sie selbst hatte keine Zeit, das jeden Tag zu tun. Sie hatte ihre eigene Form im Umgang mit Perlen. Sie hatte den Rahmen, den am Rahmen befestigten Stoff und die Nadel mit dem Holzgriff, mit der sie die Perlen auf den Stoff fädelte, schillernde Perlen, um ein Kleid zu verzieren, und sie fragte sich eigentlich nie, wer es wohl tragen würde.
    Sie war zu scheu, um mit der Großmutter zu sprechen, die sowieso kein Englisch konnte. Fünfunddreißig Jahre in diesem Land und nicht drei Worte Englisch. Aber in gewisser Weise war das ein Zeichen ihres Glaubens, ein Hinweis, worauf es wirklich ankam. Es kam auf die Geheimnisse an, nicht die Sprache, in der man sie betete.
    Die Frischluftinspektoren standen fast jeden Tag an der Ecke, drei oder vier oder fünf Männer, und Rosemary ging an dem schmalen Haus vorbei und dachte über das nach, was angeblich dort geschehen war.
    Manchmal braucht der Glaube ein Zeichen. Es gibt Momente, da möchte man aufhören, an seinem Glauben zu arbeiten und sich einfach von einem wehenden Wind überwältigen lassen, der einem alles sagt.
    »Vielleicht hat sie eine Achtelsekunde lang gedacht, ich hätte geschmatzt. Oder ihr zugeschnalzt.«
    »Und dann?«
    »Dann hat sie kapiert, daß ich Essen zwischen den Zähnen hatte und es rauspopeln wollte. Wie man es halt mit der Zunge rauspopelt. Aber sie hat mich angeguckt und gesehen, wer es war, und beschlossen, lieber beleidigt zu sein.«
    »Das kann ich verstehen.«
    »Das kannst du verstehen.«
    »Das kann ich verstehen, und auch wenn du sie nicht beleidigt hast, du hättest es aber gekonnt.«
    »Hab ich nicht. Hätt ich aber gekonnt. Das meinst du.«
    »Ich kenn dich seit zwanzig Jahren. Du hättest es gekonnt.«
    »Nur damit ich recht verstehe. Ich hab nicht. Hätt es aber gekonnt.«
    »Genau. Denn bei dir könnt ich mir's vorstellen.«
    »Hab ich aber nicht.«
    »Hättest es aber gekonnt.«
    »Egal, ob ich Essen rauspopeln wollte.«
    »Egal, ob Jesus auf dem Wasser wandelte. Denn du hättest es gekonnt.«
    »So weit bringst du uns also.«
    »Wie weit bringe ich uns?«
    »So weit, daß ich sagen muß. Und weißt du, was ich sagen muß? Und ich sag es dir und deiner Schwester. Euch allen beiden.«
    »Paß bloß auf.«
    »Und hör mir gut zu. Dir, aber ganz besonders deiner Schwester.«
    »Paß bloß auf, Anthony.«
    »Ich scheiß dir in die Seele, du Scheißer.«
    »Anthony. Jetzt machst du aber einen Fehler.«
    »Dir und deiner Schwester. Ich scheiß euch in die Seele.«
    »Kennt man sich seit zwanzig Jahren.«
    »Und eurer Mutter auch, wo ich grade dabei bin.«
    »Denkt der, ich hör mir so was von einem Vollidiot wie dem an.«
    »Und eurer Mutter«, sagte er.
    Ein Junge kam vorbei, einen Baseballhandschuh in den Gürtel gehakt, und aß ein Eis am Stiel.
    Der Hafenarbeiter stand auf der anderen Straßenseite, mit seinem massiven, schnurrbärtigen Kopf, ein Frischling, erst vor etwa einem Jahr mit dem Schiff gekommen, arbeitet auf den Docks in Jersey, stark wie ein Truck von Mack.
    Zwei Burschen schoben ein Auto, in dem keiner saß.
    Nick stand vor dem Lebensmittelladen, aß ein Jumbo-Sandwich und hielt in einer Papiertüte ein Bier versteckt, das ihm Donatos Frau verkauft hatte.
    Die Frischluftinspektoren.
    Sammy Bones, der bei einem Spiel in den Polo Grounds aufs Spielfeld gelaufen war, so daß er im Fernsehen kam, nur daß keiner, den er kannte, Fernsehen

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