Unterwelt
frei nach Heraklit, eine trockene weise Seele sein, weniger schlampig und unentschieden und eher bereit, in den Kern einer komplizierten Angelegenheit vorzudringen.
Er mußte mal, und der Verwalter sagte, es gäbe im Gerätekeller ein Waschbecken, das könne er benutzen, und erklärte ihm den Weg durch das Labyrinth der Durchgänge.
Erging an Lagerkellern und leeren Mülltonnen vorbei. Dann kam er nach draußen in einen Hof, sah die Tür, die der Verwalter ihm beschrieben hatte, und betrat das Nebenhaus.
Lange Zeit hatte er glauben wollen, daß sie Ehrgeiz in ihn setzte. Aber jetzt war er sich nicht mehr sicher. Er hatte gedacht, sie wolle, daß er sich um die Leitung der Fachschaft bewarb, um die Stelle des Konrektors, daß er die nötigen Schritte unternahm, das Spiel mitspielte, ein Auto kaufte, ein Haus kaufte. Und er hatte gedacht, sie wäre manchmal so wütend und distanziert, weil er ihre Hoffnungen nicht erfüllte. Aber jetzt war er sich nicht sicher.
Er durchquerte die Kellergänge unter Reihen von Kupferrohren. Er fand den Geräteraum und pinkelte ins Becken. Da hinten lag seine Kindheit, in den Stimmen seiner Mutter und seines Vaters, zurückhaltend, argwöhnisch, manchmal verschreckt, und in den Schnalzlauten, die sie von sich gaben, um Mißtrauen gegenüber der unbekannten Welt ringsum zu äußern.
Er hörte hinter der nächsten Biegung ein Radio spielen und beschloß, dem Geräusch zu folgen, Musik, Süße, Geigen, sein Kopf war klar, seine Blase leer, Albert das Herdentier, neugierig, was für Gesellschaft er hier wohl antreffen würde.
Er bog um die Ecke und blieb neben einem ausrangierten Tisch mit einem fehlenden Bein stehen.
George Manza, George der Kellner, saß auf einem Stuhl in einem armseligen Raum. Es war etwas mit ihm. Weder döste er, noch war er gedankenversunken, aber da war etwas. Er war wach, reagierte aber nicht. Und da war etwas, das Albert vom Sprechen abhielt.
Der Raum war von anonymer Scheußlichkeit. In diesem Raum hätte man vermutlich einige Zeit verbringen können, ohne genau zu registrieren, was alles darin war. Lauter verlorene und gefundene und durcheinandergewürfelte Dinge waren verstreut, anonyme, verblaßte Farben, und Sachen, die hier lagerten, nicht weil sie irgendwann gebraucht wurden, sondern weil sie irgendwo hinmußten.
George saß seitlich da, etwas vorgebeugt, und atmete ein und aus, durch die Nase, langsam, mit langen Pausen, ein kleines Leben in jedem Atemzug.
Die Tür war angelehnt, und Albert beobachtete ihn. Zwischen der Tür und dem Rahmen war nur ein Spalt von etwa acht Zentimetern, acht, zehn Zentimetern, aber das reichte, um zu sehen, was es zu sehen gab. Und er wußte nicht genau, was das war.
Der Mann starrte leblos auf die gegenüberliegende Wand. Er hatte etwas so Erloschenes, daß Albert fand, er hätte kein Recht, ihn anzuschauen. Er hatte George mehrere Monate lang nicht gesehen oder noch länger, und der Mann wirkte verändert, dünner, kleiner, streng, wie er da unter einem Regal hockte, auf dem ein Radio stand, und die Musik paßte gar nicht zu dem Mann, so daß Albert sie am liebsten abgestellt hätte.
Doch er blieb, wo er war, in dem schummrigen Durchgang. Er sah etwas vollkommen Verschlossenes, etwas Ungreifbares hinter dem distanzierten Mann, dem schweigsamen Mann, mit dem so schwer Freundschaft zu schließen war. Er fühlte sich schuldig, als er in den Raum blickte, und von neuem schuldig, als er ging, sich zurückzog, aber er zog sich leise zurück und wandte sich dem Licht einer baumelnden Glühbirne zu.
Er nahm den falschen Durchgang und gelangte zu einer engeren Stelle, die Rohre liefen hier horizontal über die Wände, und allmählich machte sich Kloakengestank bemerkbar. Albert überquerte einen vergitterten Abfluß, wo der Geruch sich verstärkte, trübselige menschliche Abwässer, und er brauchte eine Weile, bis er eine Tür fand, die nach draußen führte.
Mike der Buchmacher machte immer eine schwungvolle Geste mit der Hand, sie war ausladend und römisch, die flache Hand bewegte sich parallel zur Erde, wie um etwas zu begraben oder einen Schlußpunkt unter etwas Bedeutsames zu setzen.
In dieser Nacht liebten sich Albert und Klara im Mondschein, süß und mühelos und scheinbar endlos, eine Liebe, die so aus der Zeit gefallen war, daß er das Gefühl hatte, sie hätten ein Geisterleben gefunden, das sie vor jedem menschlichen Makel bewahren würde, während ein kleiner Ventilator in der Ecke summte und aus einem
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