Unterwelt
benutzten die Toten als willkommene Möglichkeit der Müllentsorgung.
Diese Geschichte befriedigte die Kartenspieler. Sie war sehr befriedigend. Mangelnder Respekt für die Toten war ein netter, grausamer, befriedigender Scherz, vor allem für Männer eines gewissen Alters. Ein Scherz auf Kosten der Toten war ein sehr schöner Scherz. Ein Scherz mit Mumm.
Albert fühlte sich isoliert hier, aber ohne jedes Risiko, das Klatschen der Karten, das theatralische Reizen der Männer, der Wein, der ihm zu Kopf stieg, und schließlich wußte er, warum diese verlorenen Nachmittage unterm Schusterladen etwas Vertrautes an sich hatten.
Wie die Kindheit, dachte er. Diese Tage im Bett, als er wie eine Insel zwischen Laken und Kissen lag, umgeben von Büchern und von Schachfiguren, köstlich krank manchmal, ein Fieber, das ihn nach innen schickte, Schweißfluten und Träume mit ineinanderlaufenden Farben, einsam, aber nicht unglücklich, das Zimmer eine Welt, der sichere Ort der Phantasie.
Liguori trank keinen Wein mehr, der Drucker, weil er es an der Leber hatte. Er redete von den wandernden Musikanten, die früher immer vorbeikamen, ein Geiger und ein Trompeter, und wie die Leute Münzen in Papier einwickelten und aus dem Fenster warfen.
Quanta sold'?
Wieviel Geld, sagte seine Frau immer, kostet es mich diesmal, wenn ich mir diesen cafone mit seiner Fiedel anhöre? Aber sie kamen nicht mehr. Sie hatten es an der Leber oder gemeinsam nur noch einen halben Magen, oder der Verkehrslärm, sagte Albert, machte die Musik sinnlos.
Die Männer sprachen meistens Englisch, fielen aber in den Dialekt, wenn ein Gedanke auf etwas vertrauteres Terrain gelenkt oder geschubst werden sollte. Und seltsam, wie Albert, der gerade mal auf die Vierzig zuging, eine Altmännerhaftigkeit in sich spüren konnte, hier ganz besonders, während die Stimmen ihn in seine frühesten Erinnerungen zurücktrugen, dieselben verschliffenen Worte, die verschluckten Vokale, die Vulgärsprache, so daß Englisch der Klang der Gegenwart war und Italienisch ihn zurückversetzte, schon allein durch die Intonation, eine Sprache, unerschöpflich geprägt durch die Vergangenheit.
Jemand wurde zwangsgeräumt, auf die Straße gesetzt, Stühle, Tische, Bett, gleich um die Ecke – das Bett, sagte John der Verwalter. Rahmen, Federn, Matratze, Kissen, draußen auf dem Bürgersteig.
Porca miseria.
War das erbärmlich, eine totale Demütigung der Seele. Du bist ein Museum der Armut. Die Leute gehen vorbei und glotzen. Das Bett, die Teller und Gläser, der Koffer mit deinen Kleidern, ein Paar alte Schuhe in einer Papiertüte. Stell dir vor. Schuhe. Und die Leute gehen vorbei und glotzen. Der eine sagt dies, der andere sagt das, der eine sitzt auf einem Stuhl, der andere zeigt aus einem Auto. Die sollten sich schämen, so zu glotzen. Die Schuhe eines Mannes auf dem Bürgersteig.
Die Nachbarschaft war immer da, ob einer auszog, ob einer einzog, sie tauchte am Rand auf. Tizzoon. Wenn sie dieses Wort bloß nicht gebrauchen würden, wünschte sich Albert. Ein Wort aus dem Dialekt des Südens, eine Entstellung, eine Verschleifung, eine Beleidigung, abgeleitet von tizzo, nahm er an, Feuersglut oder schwelende Kohle, und übertragen auf menschliche Dimensionen in tizzone d'inferno, Schuft, Schurke. Aber dieses Wort ließ an etwas Höllisches denken, etwas Feindseliges, das es fast unaussprechlicher machte als Nigger. Aber sie sprachen es ganz natürlich aus, diese Männer, Einwanderer oder Söhne von Einwanderern, die Horden, die den friedlichen Schlaf der Gesellschaft stören, die andauernd auftauchen und einziehen. Tizzoon. Sie verbargen das Wort. Sie kniffen die Augen zusammen und bewegten kaum die Lippen. Aber sie sprachen es, zischten das Wort halb, in einer Weise, daß Albert wünschte, er hätte es nicht gehört.
Spadafora erzählte ihnen von der Waschmaschine, die automatisch läuft, die Frau drückt eine Kontrolltaste und geht zur Tür raus, und die Maschine wäscht, spült, schleudert, trocknet und schaltet sich ab – alles automatisch.
Sie schüttelten die Köpfe und schnalzten und murmelten beiläufige Flüche, verblüfft über ihr Glück, hier zu sein, erstaunt und verwirrt, sie suchten nach einem Weg, um ihre Skepsis an den Wundern zu trainieren, die sich tagtäglich auftaten.
Der Wein war diesmal nicht besonders genießbar. Er war hausgemacht, vom Schuster selbst, Guido, aber es war sowieso kein Weinwetter, und Albert wollte verantwortungsvoller sein. Er wollte,
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