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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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aneinandergelehnt, mit sonnengespannter Gesichtshaut und leicht brennenden Augen, müde, hungrig, glücklich, und der Bus rülpste unter ihnen Hitze heraus.
    Er stand in dem dunklen Flur und betrachtete sie. »Gloria, du bist so schlimm.«
    »Ich bin nicht schlimm. Du bist schlimm.«
    »Du bist so schlimm.«
    »Wenn ich schlimm bin, was bist du dann?«
    »Gloria, komm her, Gloria.«
    »Was willst du?«
    »Komm mal kurz her.«
    »Wofür soll ich herkommen? Herkommen wofür?«
    »Du bist eine Fotze, Gloria.«
    »Was willst du?«
    »Du bist eine Fotze, Gloria.«
    »Sag was Nettes, Nicky.«
    Sie lächelte, er nicht.
    »Du bist so schlimm. Richtig schlimm.«
    »Ich bin schlimm? Wer ist hier schlimm?«
    Sie rollte unter seinen Händen mit den Hüften und lächelte.
    »Du bist eine Fotze, ganz und gar, von oben bis unten. Du bist eine Totalfotze, durch und durch.«
    »Versuch doch zur Abwechslung mal, was Nettes zu sagen«, sagte sie ihm.
    Nick trug die letzte Kiste Leergut durch die Luke nach oben und schob sie seitlich auf die Ladefläche. Dann setzte er sich zu Muzz, dem Fahrer, in die Führerkabine, dem troff der Schweiß durchs Hemd, so daß die Farben verschwanden und das ganze Hemd grau wurde.
    »Ich sag, okay.«
    »Fahren wir.«
    »Ich sag, okay. Aber es ist albern«, sagte Muzz. »Fahren wir, fahren wir.«
    »Ich bin heut morgen aufgestanden. Ich konnt's nicht fassen. Ich hab mir gesagt.«
    »Fahr, fahr schon, ich geh ein.«
    »Hast du deine Salztabletten genommen? Nimm deine Salztabletten.«
    Als sie vor einer Ampel anhalten mußten, tippte sie von hinten ein Auto an.
    Muzz schaute in den Seitenspiegel.
    »Du bist mir draufgefahren, du Sack.«
    Der Typ in dem Auto sagte was.
    »Du bist mir draufgefahren, du Sack.«
    Der Typ sagte was.
    »Solln das?« sagte Muzz.
    Der Typ sprach in seine Windschutzscheibe.
    »Sag ihm«, sagte Nick. »Wo hast du deinen Führerschein her?«
    Muzz steckte den Kopf aus dem Fenster, wandte sich aber nicht zu dem Auto hinter ihnen um.
    »Wo hast n du deinen Führerschein her, um das Stück Scheiße da zu fahren?«
    Der Typ sagte was in die Windschutzscheibe. »Sag ihm, bei Woolworth oder was?« sagte Nick.
    Muzz schaute in den Spiegel, sein Gesicht wenige Zentimeter vom Glas entfernt.
    »Bei Woolworth, du Sack?«
    Die Ampel sprang um, und Hupen ertönten.
    »Reg dich auf«, sagte ihm Nick. »Sag ihm, du rammst ihm deinen Kreuzschlüssel in den Arsch.«
    Muzz, das Gesicht ein paar Zentimeter vom Spiegel entfernt, artikulierte die Worte langsam in die kleine Fläche. Schweiß rann ihm durch die Furche unten am Rücken, bis in die Hose hinein. Da hinten hupten welche.
    Die Schule war inzwischen leer, und die Schwester ging manchmal durch die Korridore, schaute in die Klassenzimmer. Andere waren fort, verbrachten den Sommer im Mutterhaus oder besuchten irgendwo Verwandte oder forschten für ihre Doktorarbeit an einer Uni, wo sie sich die Wege unter den Schattenbäumen mit Atheisten und Salonbolschewisten teilten.
    Manchmal fiel es Schwester Edgar schwer zu wissen, wer sie war, mit den stillen Klassenzimmern und den leblosen Korridoren. Es gab ein paar andere Nonnen, die kamen und gingen, und es gab den philippinischen Hausmeister Miguel, der die Korridorböden sogar schrubbte, wenn seit Tagen keiner darübergegangen war, ein Vorgehen, das Edgar natürlich guthieß, denn man kann nichts so peinlich saubermachen, daß es nicht sofort wieder geputzt werden müßte, sobald man fertig ist.
    Allein in ihrem Zimmer, trug sie Alltagsklamotten und las »Der Rabe«. Sie las das Gedicht viele Male, lernte die Verse auswendig. Sie wollte es vor ihrer Klasse rezitieren, wenn die Schule wieder anfing. Ihr Namensvetter-Dichter, jawohl, und das dunkle, krächzende Gedicht, bei dem sie sich wieder edgarhaft fühlte, konturiert, gestaltet, stimmgesegnet, in Abwesenheit ihrer Jungen und Mädchen.
    Ihre Fanzeitschriften stapelten sich im Schrank. Auf den Kerzenhalter hatte sie ein Bild von Jesus gestellt. Ein kleiner Spiegel hing früher immer über dem Waschbecken, aber sie hatte ihn abgenommen, denn es verwirrte Schwester Edgar, sich selbst ohne Schleier zu sehen. Haare, Hals, Schultern, ganzes Gesicht – diese Dinge hatte sie hinter sich gelassen, um Nonne zu werden. Der Schock des Körpers, enthüllt. Die minimale Grundsubstanz mit gestutztem Haar und knochigen Schultern. Das war ein Anblick, gegen den es sich zu wappnen galt, er war eindringlicher als die leeren Klassenzimmer des Sommers.
    Sie lernte die

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