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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Seite. Das war kein harter Schlag. Es war ein symbolischer Schlag, und das Zucken mit dem Kopf war übertrieben.
    »Paß auf, wie du über sie redest, Brian.«
    Er schlägt die Augen nieder, versucht es auf die mitleidheischende Tour. Hier sitzt er, hungrig, durstig, im Jetlag, ungewaschen, und wird gefangenhalten, na ja, beinahe, und in einer Kellerzelle rumgeschubst. Aber ich glaube nicht, daß er sich ernsthaft Sorgen machen muß.
    »Hat sie dir von dem Heroin erzählt?«
    »Sie hat mir alles erzählt.«
    »Nur einmal, ich schwör's. Hat mir einen Heidenschrecken eingejagt.«
    Er greift rüber und nimmt sich etwas von meinem Teller zu essen und fängt an zu kauen. Ich betrachte ihn. Er hält den Kopf gesenkt, langt in meinen Teller, ißt und langt rüber, und ich lasse es zu.
    »Es tut mir leid, Nick. Bring mich um. Das wäre mir am liebsten. Aber ich muß dir sagen, es hat nicht lange gedauert. Und ich muß dir sagen, daß ich nicht immer – wie sag ich das am besten, wenn ich nicht noch eine geklebt kriegen will?«
    »Sie hat's mir erzählt.«
    »Ich war nicht immer willig.«
    Ich betrachte ihn beim Essen.
    »Ich habe mich nämlich gesträubt, und ich hatte Angst, daß du was merken würdest. Und als du es nicht gemerkt hast, hat sie es dir erzählt.«
    Er langt rüber und ißt, mit gesenktem Kopf. Ich lasse ihn zum Waschbecken gehen und sich Wasser ins Gesicht klatschen. Bombe hin oder her, sagt er, das ist ein langweiliger Haufen Leute da draußen. Wir gehen zurück in das Zimmer mit dem Essen. Die Gäste haben sich über verschiedene Bereiche verteilt, trinken Kaffee oder Tee oder Brandy, einige von ihnen, oder halten sich Dessertteller unters Kinn, die Stehenden jedenfalls.
    Wir spüren eine Erdbewegung, ein Rumpeln unter unseren Füßen. Ein dumpfer Stahlwollestoß, eine Verschiebung oder Verwerfung, weit entfernt und zugleich hier wahrgenommen, ein hohles Körpergeräusch. Jemand sagt »da« oder »ja«. Dann streben die Leute dem Ausgang zu, einer nach dem anderen, bücken sich unter den niedrigen Türstürzen durch, Raum um Raum, möglichst nicht allzu eifrig, eine Kette raschelnder Seufzer, und wir versammeln uns vor dem Komplex und schauen Richtung Punkt Null, obwohl eigentlich gar nichts zu sehen ist, nur die Weite der kasachischen Ebene.
    Wir stehen da und schauen noch ein wenig, einige sagen mit leiser Stimme ein paar Worte, und etwas Erwartungsvolles hängt in der Luft. Keine aufsteigende Wolkenmasse natürlich oder rollende Geräuschwogen. Vielleicht steigt ein wenig Staub von dem Gelände auf, vielleicht ist das auch nur der Nachmittagsdunst, und mehrere Leute zeigen hin und geben kurze Kommentare ab, und innerhalb der Gruppe herrscht eine Flauheit, eine unausgesprochene Bedrücktheit, und nach einer Weile gehen wir wieder hinein.
    Wir verbringen die Nacht in der Stadt Semipalatinsk, trinken warmes Bier und essen Pferdefleischpate, und am Morgen, anstatt sofort nach Moskau zurückzufliegen, beschließt Viktor Maltzow, daß wir etwas sehen sollten.
    Er bringt uns an einen Ort, den er das Museum der Mißgeburten nennt. Es gehört zum Medizinischen Institut, und mir fällt auf, wie Brian zusammenzuckt und etwas zurückbleibt, noch bevor wir im eigentlichen Museum sind, einem langen, niedrigen Raum mit Schaukästen voller Föten. Viktor ist ein Mann, der ganz offensichtlich gern das Gewebe einer Erfahrung verdichtet. Die Föten, jedenfalls einige von ihnen, werden in Gurkengläsern der Firma Heinz aufbewahrt. Da ist das zweiköpfige Wesen. Da ist der einzelne Kopf, der doppelt so groß ist wie der Körper. Da ist der normale Kopf, der an der falschen Stelle sitzt, auf der rechten Schulter hockt.
    Wir schauen stumm in die Gläser. Wir gehen langsam von einem Schaukasten zum nächsten, weil der Anlaß ein feierliches Tempo zu verlangen scheint, und wir sagen nichts und schauen uns nur die Gläser an, niemals die Wände oder Fenster oder uns gegenseitig. Dann sagt Viktor etwas, aber nicht über die Gläser. Er spricht von den jahrelangen Tests. Wir schauen in die Gläser und hören Viktor zu und treten langsam von einem Schaukasten zum nächsten. Fünfhundert Atomexplosionen auf dem Testgelände, das im Südwesten der Stadt liegt, und selbst als sie aufhörten, in der Atmosphäre zu testen, waren die Minenschächte, die sie für die unterirdischen Detonationen gruben, nicht tief genug, um das Austreten gefährlicher Strahlungsmengen zu verhindern.
    Er schaut mich an, als er das sagt.
    Dann ist da der

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