Unterwelt
sehe ich das eindrucksvolle, offene Stahlgerüst der Müllanlage vor mir, ein Stück von der Lower Buckeye Road weg, Stärlinge zischen über die Aufschüttung hinweg, und die Flugzeuge kommen in einer langen Reihe aus den dunstigen Bergen herunter, um sich in Anflugformationen einzufädeln.
Marian und ich sind uns jetzt näher, vertrauter als je zuvor. Die Zacken und Kanten haben sich abgeschliffen. Wir fahren nach Tucson, besuchen unsere Tochter und unsere Enkeltochter. Wir renovieren unser Haus, bauen die ganze Zeit neue Bücherregale, kaufen neue Teppiche, die wir auf die alten drauflegen, und wir spazieren in der Dämmerung am Abwasserkanal entlang und erzählen uns Geschichten aus der Vergangenheit.
Im Bronzeturm stehe ich am Fenster und schaue auf die Hügel und Kämme hinaus, und draußen auf der Straße sind es vierundvierzig Grad, und ich trage immer einen Anzug, selbst wenn ich nur herkomme, um nach der Post zu sehen, und ich lausche dem mikrotonalen Summen der Systeme und verspüre eine stille Macht, denn ich habe es getan und bin heil davongekommen, habe es getan und habe gewonnen, bin schwach hineingegangen und stark herausgekommen, und für den Fahrstuhlfritzen spiele ich wieder den Gangster.
Wir trennen unseren Hausmüll nach Vorschrift. Wir spülen die gebrauchten Dosen und leeren Flaschen aus und legen sie in die entsprechenden Eimer. Wir trennen Blech von Aluminium. Wir benutzen eine Papiertüte für die Papiertüten, falten die kleineren Tüten zusammen und stecken sie in die große Tüte, die wir zu diesem Zweck beiseite gelegt haben. Wir bündeln die Zeitungen, verschnüren sie aber nicht mit Bindfaden.
Die alten Geister wandeln durch die Flure. Daß meine Mutter starb, empfand ich als eine allmähliche und dauerhafte Bereicherung. Ich fühlte, wie ihre Wahrheit mich durchströmte, erfüllte, als wäre sie Wasser, Farbe oder Licht. Ich dachte, jetzt ist sie an die tiefste Stelle vorgedrungen, die ich zu bieten habe, zu der beseelenden Wesenheit, dem Etwas, das, wenn überhaupt, meinen letzten Atemzug überleben wird, und sie macht mich größer, sie erweitert mein Verständnis dessen, was Menschsein bedeutet. Sie ist jetzt ein Teil von mir, total und tröstlich. Und es ist keine traurige Feststellung, daß sie erst sterben mußte, bevor ich sie ganz erkennen konnte. Es ist nur ein Ausdruck der Macht dessen, was danach kommt.
An der Börse von Chicago wird mit Müll gehandelt. In Dallas werden synthetische Exkremente hergestellt. Man kann seine Hoden an eine Firma in Rußland verkaufen, die einem viertausend Dollar dafür gibt, die Dinger chirurgisch entfernt und zerstampft, die vitalen Substanzen extrahiert und das Ergebnis, ein sirupartiges Zeug, als verjüngende Schönheitscreme vermarktet, mit einer wahnwitzigen Profitspanne.
Wir nehmen den Fernseher aus dem kühlen Zimmer im hinteren Teil des Hauses, dem alten Zimmer unserer Tochter Lainie und jetzt dem alten Zimmer meiner Mutter, dem Zimmer mit dem Luftbefeuchter und dem neu beschichteten Spiegel und dem guten, harten, gesunden Bett, und wir bauen Bücherregale ein.
Bei Waste Containment bin ich eine Art emeritierter Manager geworden. Ich gehe ab und zu ins Büro, aber meistens reise ich und halte Vorträge. Ich besuche Kollegen und Forschungseinrichtungen, wo ich als Müllexperte angekündigt werde. Ich spreche zu ihnen über die geräumten Militärstützpunkte, die zu Landaufschüttungen umfunktioniert werden, über das Bunkersystem unter einem Berg in Nevada, das Tausende von Stahlkanistern mit radioaktivem Müll zehntausend Jahre lang aufnehmen wird oder auch nicht. Dann gibt es Mittagessen. Der Müll mag explodieren oder auch nicht, siebzigtausend Tonnen verbrauchter Treibstoff, und ich fliege nach London und Zürich, um an Konferenzen in Regen und Schneematsch teilzunehmen.
Ich ordne die Bücher in den alten Regalen um und finde passende Zusammenstellungen für die neuen Regale, und dann stehe ich da und schaue sie mir an. Oder ich gehe durchs Haus und schaue mir die Dinge an, die wir besitzen, und spüre die seltsame Sterblichkeit, die jedem Gegenstand anhaftet. Je edler und seltener ein Gegenstand ist, desto einsamer fühle ich mich, und ich weiß nicht, worauf ich das zurückführen soll.
Marian ist mit Mitte fünfzig schlank und braungebrannt und nicht mehr so eckig, das ist klar, und etwas gemäßigter in ihrer Einstellung zum Augenblick. Der Augenblick ist plötzlich nicht mehr so wichtig. Wir fahren in die Wüste
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