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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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noch einiges, das Viktor zum Teil übersetzt, zum Teil auch nicht.
    Weiter hinten sehen wir Spuren der alten Tests, überirdisch, und hier gibt es etwas Merkwürdiges, etwas Unbehagliches, das ich zu orten versuche. Wir sehen den verbliebenen Bogen einer Eisenbahnbrücke, ein verformtes Stück verkohltes braunes Metall, das auf Betonpfeilern ruht. Etwas Tiefernstes, eine Stimmung wie von alten, schlechtgewordenen, mittlerweile unwürdigen Geheimnissen. Wir sehen das plattgedrückte graue Fundament eines Testturms, größtenteils vor Jahrzehnten in die Luft geflogen, nur dieser Block aus rissigem Beton ist übrig, erhebt sich gerade mal zwei Meter über die stopplige Oberfläche, wirkt immer noch seltsam verblüfft, und Metallträger ragen hervor. Schuld in jedem fein dosierten Objekt, den verwitterten und dem Wind überlassenen Pfählen und I-Trägern, menschengemachten, menschengestalteten Dingen, alten Systemen, mißlungen.
    Wir fahren stumm weiter.
    Hügel aus zusammengeschobener Erde um einen Kamerabunker, mit gelber Farbe besprenkelt – gelb für verseucht. Der Ort ist eigenartig, weggefroren, ein Beispiel für unsere Vergeßlichkeit, obwohl wir Einzelheiten merken. In der Ferne erkennen wir Reste von Häusern, Testsiedlungen, die man damals von ihren Grundfesten wegpustete, die Leute immer noch drin, Puppen, und Produkte in den Regalen, die vielleicht vor vierzig Jahren dorthin gestellt wurden – alles amerikanische Marken, sagt der Fahrer.
    Und Viktor sagt, Das war eine Frage des Stolzes für den KGB, eine originalgetreue häusliche Umgebung nachzubauen.
    Und wie merkwürdig ist es, schon wieder merkwürdig, noch mehr Merkwürdigkeit, eine Art Heimweh zu verspüren nach den Dingen auf den Regalen in den Häusern, die noch stehen, Old-Dutch-Putzmittel und Rinso-White-Spüli, all die halb verlorenen Ikonen des alten Lebens, Ipana und Oxydol und Chase & Sanborn, immer noch intakt hier draußen in diesem Nirgendwo kurz vor der Mongolei, und weiß noch irgendwer, warum wir das alles getan haben?
    Ich sage, »Viktor, weiß noch irgendwer, warum wir das alles getan haben?«
    »Ja, wegen Wettbewerb. Sie haben gewonnen, wir verloren. Sie müssen mir sagen, wie sich anfühlt. Große Sieger.«
    Brian sitzt neben mir und schläft schon wieder.
    Wir sehen einen verrosteten Panzer, gelbe Pinselstriche markieren das Geschützrohr. Es gibt Straßen, die abrupt enden, Unkraut, das durch den Asphalt drängt.
    Der Wagen erreicht das Testgelände, das Gelände für unseren Test. Ein leicht erhöhtes Stück Land, ohne Gebüsch und fast flachplaniert. Ich wollte nicht als erster aussteigen, und einen Moment lang rührte sich keiner. Bohrtürme in mittlerer Entfernung. Ein Dutzend Wohnwagen stehen aufgereiht auf der Ebene, allesamt voller Geräte, die die Explosion analysieren sollen.
    Der Fahrer öffnet seine Tür, und wir alle steigen aus.
    Der Wind kommt mit schwerfälligem Brausen heran. Mehrere Techniker und Militärs stehen in der Nähe. Viktor steckt sich eine Zigarette an und geht zu ihnen. Er sieht in seinem langen Ledermantel fehl am Platz aus . J enseits der Straße erkennen wir Felsen, weißgenarbt von früheren Detonationen. Ich mustere ständig den Fahrer, auf der Suche nach Zeichen und Omen.
    Viktor kommt zurück und zeigt auf eine Ecke der gerodeten Fläche, wo sich dicke Kabel aus verschiedenen Maschinen hervorschlängeln, die auf einem blassen Stück Erde aufgestellt sind. Er sagt, das ist Punkt Null. Wir stehen nickend im Wind.
    Er sagt, daß in ungefähr einem Kilometer Tiefe in Granit gezündet wird. Reaktorabfall und Kerne von ausgemusterten Sprengköpfen sind um einen Nuklearsprengsatz mit geringem Potential gepackt. Er sagt, das Loch, das von der Oberfläche bis zur Zündungsstelle gebohrt wurde, ist zugestopft und versiegelt worden, damit keine Strahlung austritt.
    Der Fahrer steckt einen Finger in den Mund und reibt sich etwas Schmutz vom Ärmel. Ich schaue nach, ob mein Ärmel auch verschmutzt ist. Dann geht der Fahrer zum Auto zurück, und wir alle folgen ihm.
    Er bringt uns zu einem Bunkerkomplex in einiger Entfernung. Hier sind ungefähr vier Dutzend Leute versammelt. Generäle mit betreßten Mützen, Uranspekulanten, ein Mann und eine Frau von der Bundesbank. Wir werden reihum vorgestellt. Viele aufgeblasene Bürokraten mit austauschbaren Köpfen. Da sind Industrielle, Bombenbauer, offizielle Beobachter, die den Test überwachen sollen. Und wir alle tragen diese strahlungsmessenden Plaketten. Ich

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