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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Kunstgeschichte zu schreiben.«
    »Oder was ihr hier sonst macht.«
    »Oder was wir hier sonst machen.«
    Sie saß auf dem Fahrersitz, bei geöffneter Tür, stämmig gebaut, nicht ganz die schwebende Sylphe, als die sie mir im aufwirbelnden Staub jenes Augenblicks erschienen war.
    »Ihr Wagen?«
    »Ich hab ihn mehr oder weniger zur Verfügung gestellt«, sagte sie, »also hab ich jetzt wohl ein Taxi am Hals, was ein bißchen unpraktisch ist. Aber allein Klaras Gesichtsausdruck war die Sache schon wert, würd ich sagen.«
    Derb und offen wie eine Sommerkellnerin, die Da bitte sagt, wenn sie einem das Essen hinstellt.
    »Schon lange hier?«
    »Bald sieben Wochen, und ich bleibe dabei, auch wenn es Ewigkeiten dauert, was gut möglich ist.«
    »Kein Heimweh?«
    »Ab und zu. Aber das ist eine einzigartige Chance. Schon draußen gewesen?«
    »Morgen früh«, sagte ich.
    »Tun Sie's früh. Die Hitze ist gemein.«
    »Ich kenne mich mit Hitze aus. Ich mag Hitze.«
    »Woher stammen Sie?«
    Ich erzählte ihr nicht, ich lebe ein ruhiges Leben in einem bescheidenen Haus und so weiter. Statt dessen sagte ich ihr, wo ich die Nacht verbrachte, und ließ mir erklären, wie ich da hinkam, obwohl ich es schon wußte.
    Ich ließ sie von ihrer Heimatstadt erzählen.
    Ich fragte sie nach ihrer Arbeit auf dem Gelände, und sie sagte, sie trage eine Metallgrundierung auf, kratze Farbe ab, manchmal mit der Hand, manchmal mit einem Sandstrahlgebläse.
    Sie saß aufrecht in ihrem Sitz, zählte Details auf und wackelte mit dem Kopf, gespielt mädchenhaft, aber auch mädchenhaft.
    Ich fragte sie nach dem Studium, und sie sagte, sie habe es vor ein paar Jahren geschmissen, denke aber daran, es noch mal mit einem kaufmännischen Abschluß zu versuchen, und ich ließ sie davon erzählen.
    Wir redeten von ihrem Bruder, der eine seltene Blutkrankheit hatte.
    Ich ließ sie von einer Wildwasser-Kanufahrt erzählen, die sie mit siebzehn im Sommer gemacht hatte.
    Sie sagte verschlechert für verschlechtert. Wenn sie okay sagte, klang es wie okeh.
    Sie saß auf einem Kissen aus Holzperlen. Ihr Haar war kurzgeschnitten und ließ ihr Gesicht breit erscheinen. Ich sah, daß die Einzelheiten des Taxis und die Beschläge, ja, der ganze Anstrich aus der Nähe eher Amateurcharme als Akkuratesse ausstrahlten. Aber New York richtig hinzukriegen ist auch nicht leicht.
    »Und das ist der Witz, der hier bei uns kursiert«, sagte sie. »Bloß daß sich keiner so sicher ist, ob es wirklich ein Witz ist. Wir bemalen diese alten Flugzeuge in einer Art festlichem Ritual, aber woher wissen wir ganz sicher, daß die Krise wirklich vorüber ist? Bricht die udssr wirklich auseinander? Oder ist das Ganze ein Trick, um den Westen reinzulegen?«
    Sie lachte trompetend durch die Nase. Es kam aus Mund und Nase, schroff und feucht, ein merkwürdiger Laut, der sich über den Gedanken lustig machen wollte, nicht ohne dessen dunklen Reiz einzugestehen.
    »Die lassen es so aussehen, als ob alles auseinanderfällt, damit wir weniger wachsam sind, okeh?« Ich ließ sie davon erzählen.
    Sie machte es wieder. Ein langes, feuchtes, wieherndes K. Und ich fand, je länger sie redete, desto mehr war sie mir schuldig. Aber ich sagte keinen Ton. Insgeheim wollte ich sprechen, wollte eine Bresche in ihre Ichbezogenheit schlagen, in den kompakten Stoff aus Heimatstadt und sterbendem Bruder. Ich wollte das Zeug in Trümmer schlagen. Aber das war nur eine vorübergehende Laune, etwas, das aus dem erzogenen Kern unserer Mittelwegsvernunft hervorbricht.
    Ich ließ sie reden. Und je länger ich ihr zuhörte, je weniger sie mir gefiel, desto mehr wollte ich ihr an die Wäsche, aus Gründen, die keiner auf Gottes weitem Erdboden begreifen kann.
    Aber ich sagte nicht mal A, geschweige denn B. Insgeheim wollte ich sie überreden, die Nacht in meinem Zimmer zu verbringen oder die halbe Nacht oder eine Stunde und zehn Minuten. Ich wußte nicht, warum ich sie begehrte, aber ich wußte, warum ich sie nicht begehrte. Es wäre Klara gegenüber illoyal gewesen, unserer gemeinsamen Erinnerung, unserer eigenen kurzen Zeit in jenem Zimmer dort in den engen Straßen, die die Grenzen der Welt waren.
    »Wird langsam spät«, sagte ich.
    »Klar, großer Tag morgen.«
    »Muß«, sagte ich, »langsam los.«
    Sie erklärte mir noch mal, wie ich hinkam, und fuhr dann weg. Alle anderen Fahrzeuge hatten den Ort verlassen, und ich suchte im Dunkeln nach meinem Auto.
    Es ist spannend, über die große Feuersbrunst am Himmel

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