Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
Vom Netzwerk:
von Licht gesehen und mir den Kopf über die Waffen zerbrochen, die sie transportiert haben, und über die Männer, die an diesen Waffen Dienst taten, und es ist furchtbar, darüber nachzudenken. Aber die Bomben wurden nicht abgeworfen. Verstehen Sie. Die Marschflugkörper blieben unabgefeuert in ihren Bombenaufhängungen. Die Männer kehrten zurück, und die Ziele waren nicht zerstört. Verstehen Sie. Wir haben alle versucht, über den Krieg nachzudenken, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir wußten, wie man das macht. Die Dichter haben lange Gedichte voller Kraftausdrücke geschrieben, aber einer richtigen Antwort sind wir dadurch auch nicht viel näher gekommen. Denn es war etwas in die Welt gekommen, das die Vorstellungskraft des Geistes überstieg. Am Anfang wußte doch keiner, wie die Bombe überhaupt heißen sollte. Das Ding oder der Apparillo oder so. Und Oppenheimer sagte, es ist Merde. Ich sag es mal auf französisch . J . R. Oppenheimer. Es ist Merde. Er wollte sagen, etwas, das sich der Benennung entzieht, erhält automatisch den Status von Scheiße, das meinte er.
    Man kann es nicht benennen. Es ist zu groß oder böse oder außerhalb unserer Erfahrung. Es ist außerdem Scheiße, weil es Müll ist, Abfallmaterial. Aber ich mache gerade einen Riesensermon aus all dem. Worauf ich eigentlich hinauswill, ist das ganz gewöhnliche Ding, das gewöhnliche Leben hinter dem Ding. Das Herz und die Seele von dem, was wir hier tun.«
    Das Schwanken in ihrer Stimme. Und wie ihr die Laute kantig aus dem Mundwinkel kamen. Das war gespenstisch-verführerisch, wir dachten alle, vielleicht torkelt sie gleich in einen unsteten Zickzack hinein. Und die Pausen. Wir saßen die Pausen aus, beobachteten das zitternde Streichholz, mit dem sie die nächste Zigarette anzündete.
    Sie sagte: »Schauen Sie, wir bemalen, in manchen Fällen nur mit unseren schwachen Händen, große Waffensysteme, Systeme, die so identisch wie möglich aus den Fabriken und Montagehallen gekommen sind, Millionen von gestanzten Einzelteilen, endlos wiederholt, und wir versuchen, diese Wiederholung aufzuheben, ein Element gefühlten Lebens zu finden, und vielleicht liegt darin eine Art Überlebensinstinkt, ein Graffitiinstinkt – uns durch Grenzüberschreitung offen zu äußern, zu zeigen, wer wir sind. So wie es die Nasenkünstler gemacht haben, die Pin-ups auf die Flugzeuge malten.«
    Sie sagte: »Einige der Flugzeuge hatten Zeichnungen auf der Nase. Embleme, Insignien der jeweiligen Einheit, einige davon mit Figuren, einem Tiermaskottchen, das mit triefenden Lefzen knurrt. Wunderschöne Sachen eigentlich, wie Comics. Nasenkunst wird das genannt. Ein paar hatten auch Frauen drauf. Es dreht sich doch alles ums Glück, oder? Die sexy Frau, die auf die Nase gemalt wird, ist ein Talisman gegen den Tod. Vielleicht würden wir die ganze Angelegenheit am liebsten in irgendein tiefes Loch der Nostalgie werfen, aber die Männer, die diese Flugzeuge flogen, und wir reden von höchster Alarmbereitschaft und Fernfrühwarnsystemen, wir reden in jeder Hinsicht von einem Grenzbereich – also, ich glaube, sie haben in einer abgeschlossenen Welt mit ihren eigenen Omen und Symbolen gelebt, und sie waren jung und ständig geil. Eines Tages hatte ich eine der ältesten Maschinen der Staffel vor mir, ganz verwittert, auf der Nase hatte sie eine hübsche Arbeit, die verblaßt und fleckig war, eine junge Frau in Rüschenrock und engem rückenfreien Oberteil, sie war sehr groß, sehr blond, hatte unglaubliche Beine und die Hände auf den Hüften, sehr à la Möchtegern-Pinup – man sah gleich, daß sie es eigentlich nicht ganz draufhatte –, und unter dem Bild stand ihr Name, Long Tall Sally. Und ich dachte, das Mädchen gefällt mir, weil sie weder wie eine Amazone noch wie ein Engel aussieht und auch nicht furchtbar idealisiert wirkt. Dann habe ich weiter über sie nachgedacht, und zwar folgendes. Ich dachte, selbst wenn sie übermalt werden muß, vielleicht wird das nötig, vielleicht aber auch nicht, dann müssen wir auf jeden Fall ihren Namen retten, dachte ich mir. Ich dachte, wir benennen unser Werk nach dieser jungen Frau, nach den Männern, die ihr Bild auf das Flugzeug gemalt haben, nach dem Lied, das sie dazu inspiriert hat. Daran erinnere ich mich nur vage, an das Lied. Aber es gibt so ein Lied, und ich dachte, wahrscheinlich ist an der ganzen Mischung auch ursprünglich irgendwo eine echte Sally beteiligt. Sie hat den Songwriter inspiriert oder den Nasenmaler

Weitere Kostenlose Bücher