Unterwelt
hinaus, und manchmal erzähle ich ihr Dinge, die sie nicht wußte oder nur intuitiv wußte, so wie man weiß, daß man schläfrig ist oder traurig.
Wenn ich auf einem Dokument auf seinen Namen stoße, muß ich immer innehalten, zögern, sein Name in hüpfenden Buchstaben auf irgendeinem gestempelten Dokument, James Nicholas Costanza, der erhabene Stempel, der ein Papier offiziell macht, das Dokument in der staubigen untersten Schublade, das Gefühl leichter Verwirrung, bis ich begriffen habe, wer er ist.
Ich fahre manchmal da raus und sehe die Stärlinge über die Aufschüttung hinwegzischen, fahre über die Indianerstamm-Straßen, und manchmal nehme ich unsere Enkeltochter mit, wenn sie uns besucht, und wir sehen das ernste, graue Gerüst der Müllanlage und die Flugzeuge in ihren Anflugformationen und die Pracht der Wüstenpflanzen, die über die Pastellwände oberhalb des Parkplatzes quellen.
Ich fliege nach Zürich und Lissabon, um Gedanken auszutauschen und Angebote zu machen, und es ist die Art von verzweifelter Krise, diese Langlebigkeit von Müll, die eigentlich gar nicht wirklich stattzufinden scheint, außer in den Konferenzberichten und in den Zeitungen. Irgendwie läßt sie sich anders nicht greifen, trotz aller bedrohlichen Wucht und Fülle des Materials, trotz der tatsächlichen, pulsierenden Sache.
Jeder ist überall gleichzeitig. Jeff sagt das gerne, unser Sohn, der immer noch zu Hause wohnt und immer noch mit der grinsenden Schüchternheit spricht, die er aus seiner Jugend mitgenommen hat, eine Eigenschaft, die fast jede seiner Äußerungen zu einer schlüpfrigen Anspielung auf irgendein Geheimnis macht, das er hütet.
In Dallas werden synthetische Exkremente hergestellt. Sie haben eine Form simulierter menschlicher Fäkalien perfektioniert, um Windeln und andere Schutzkleidung zu testen. Das Präparat wird als anzurührendes Pulver aus Stärke, Fasern, Harzen, Gelatine und Polyvinylverbindungen verkauft. Man fügt Wasser hinzu, um die gewünschte Konsistenz zu erzielen. Die Farbe ist für gewöhnlich braun.
Nostra aetate, wie die Päpste gern sagen. In unserer Zeit.
Er ging aus dem Haus, um Zigaretten zu holen, und kam nicht zurück. Er rauchte Lucky Strikes. Er rauchte die Marke mit dem Spruch, Mach dir ne Lucky an – es ist Anmachzeit. Sei glücklich – nimm Lucky. Das war noch so ein Spruch.
Jeff hat ab und zu einen Job, kellnert irgendwo in einem Bistro und verbringt Unmengen Zeit an seinem Computer. Er besucht eine Website, die sich Wundern widmet. Es gibt viele Berichte, erzählt er uns, von Leuten, die in Uranminen strömen, um geheilt zu werden. Sie kommen aus Europa, Kanada und Australien, auf Krücken und in Rollstühlen, und sie sitzen in Tunneln unterm Weideland in Montana, wo die Radonstrahlung vielhundertmal höher ist als der staatliche Grenzwert. Sie versuchen, von Arthritis, Diabetes, Blindheit und Krebs geheilt zu werden. Es gibt Berichte, verkrüppelte Hunde seien aufgestanden und gegangen. Jeff erzählt uns das und grinst scheu, entweder weil er das lustig findet oder weil er das lustig findet und dran glaubt.
Wir haben Bücherregale in das kühle Zimmer im hinteren Teil des Hauses eingebaut, das alte Zimmer meiner Mutter, und man kennt das ja, wie die Zeit verfliegt, wenn man Bücher aufräumt, einräumt und umräumt, wie die Zeit unberührt vorübergeht, wenn man erfindungsreich nach passenden Zusammenstellungen sucht, und dann steht man in dem Zimmer und schaut.
Ich kann dir sagen, wonach ich mich sehne, nach den Tagen der Unordnung, als es mir scheißegal war, wurscht und vollkommen Banane.
Matt kam zur Beerdigung runter, kam am Vorabend mit zwei seiner Kinder angeflogen und brach dann am Grab zusammen, und sie sahen es und waren erstaunt. Sie waren schockiert, das zu sehen, denn sie betrachteten ihn als Vater, nicht als Sohn, und sie schauten weg und dann verstohlen hin und dann wieder weg, als er an meine Schulter sank und weinte, und sie sahen, wie ich den Arm um ihn legte, und mußten sich erst mal dran gewöhnen, an den Schock, ihn als Bruder und Sohn zu erleben.
Ich reagiere immer noch auf dieses Gefühl, das man in einem Büro bekommt, wenn man einen flotten Anzug trägt und spürt, wie einen die vernetzten Netzwerke umfangen. Es hat alles mit dem einhüllenden Brummen der Computer und Faxe zu tun. Mit den Handys, die auf Schreibtischen in Aufladegeräten stecken, mit den Anrufbeantwortern und der E-mail – ein Gefühl von Ordnung und Kontrolle,
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