Unterwelt
durch den Methandunst, und die Flugzeuge kommen aus den Bergen und reihen sich zum Anflug auf, und die Trucks stehen vor der Halle in zwei Schlangen, bringen den unsortierten Matsch herbei, die ausgewürgte Häßlichkeit unseres Lebens, und nehmen die gepreßten und verschnürten Einheiten wieder mit in die Welt, die klumpigen Produktblöcke, unverfälscht, Zeitung für Zeitung, Blech für Blech, und wir alle fühlen uns besser, wenn wir wieder gehen.
Ich trinke alten Grappa und höre Jazz. Ich räume die Bücher in die neuen Regale und stehe im Wohnzimmer und schaue mir die Teppiche und die Wandbehänge an, und ich weiß, die Geister wandeln in den Fluren. Aber nicht in diesen Fluren in diesem Haus. Sie sind alle weit weg, im schlafwagenschummrigen Schein am schmalen Ende der Nacht, und ich stehe hilflos an diesem Wüstenort und schaue mir die Bücher an.
Ich sehne mich nach den Tagen der Unordnung. Ich möchte sie zurückhaben, die Tage, als ich auf der Erde lebte, zuckend bis in den letzten Nerv, stürmisch und wirklich. Ich war dumpfbemuskelt und wütend und wirklich. Danach sehne ich mich, nach dem Bruch des Friedens, den Tagen der Unordnung, als ich durch wirkliche Straßen lief und die Dinge zackbumm anging und allzeit wütend und bereit war, eine Gefahr für andere und ein fernes Rätsel für mich selbst.
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Sie heißt Esmeralda. Sie lebt wild im inneren Ghetto, einem Streifen der South Bronx namens Die Mauer – ein Mädchen, das leere Grundstücke nach weggeworfenen Kleidern durchwühlt, verdorbenes Obst aus den Müllsäcken hinter den Bodegas pickt, ein Mädchen, das manchmal zu sehen ist, wie es zwischen Bäumen und Unkrautbüschen hindurchläuft, ein Schatten auf den Trümmerwänden abgerissener Bauten, ohne zu stolpern, eine taktvolle Läuferin mit dem lieblichen, leichtfüßigen Schreiten eines Geschöpfes aus den Waldmythen.
Die Nonnen versuchen seit längerem, sie zu finden.
Schwester Grace, die jüngere der beiden, entschlossen, das Mädchen aufzuspüren, einzufangen und zu einer sozialen Einrichtung zu bringen oder zu ihrem Kloster in der mittleren Bronx, an einen sicheren Ort – das Mädchen untersuchen zu lassen, richtig zu ernähren und in der Schule anzumelden.
Und Schwester Edgar, die eine strahlende Anmut in dem Mädchen sieht, eine Gnadenfrist in der endlosen Not hier an der Mauer, sogar eine Quelle persönlicher Hoffnung, einen Ansporn zum alten, robusten Glauben. Der ganze Himmel zittert, wenn eine Seele im Wind schwankt – rette sie aus der Gefahr, führe sie zu Kerzen und Asche und Palmen, zum Glauben an den mystischen Leib.
Die Nonnen bringen Essen zu den Menschen, die an der Mauer und in der näheren Umgebung leben, den asthmatischen Kindern und Sichelzellen-Erwachsenen, den Aids-Fällen und den Kokainbabys, und jeden Tag, zweimal am Tag, drei- oder viermal am Tag fahren sie mit ihrem Kleinbus an der Gedenkmauer entlang. Dies ist die sechs Stockwerke hohe Seitenwand eines besetzten Hauses, auf die Graffitimaler einen Engel sprayen, immer wenn ein Kind des Viertels an Krankheit oder Mißhandlung stirbt.
Grace redet und fährt und schreit aus dem Fenster Hunde an, die auf der Straße ihr Häufchen machen. Sie trägt einen Rock und eine Windjacke, sie hat eine Dose K.-o.-Spray dabei. Die alte, spindel-schenklige Edgar sitzt neben ihr und fühlt die Aura der Straßen und versetzt sich zurück in ein anderes Jahrhundert. Sie ist gegürtet und trägt den Schleier und wüßte nicht, wie sie sich sonst kleiden sollte, und wäre gar nicht hier, wenn die Kinder gesund und die Hunde bürgerlich wären.
Gracie sagt, »Manchmal frag ich mich.«
»Was fragst du dich?«
»Ach, egal, Schwester. Vergiß es.«
»Du fragst dich, ob wir einen Unterschied machen. Du kannst nicht begreifen, wie es kommt, daß das letzte Jahrzehnt dieses Jahrhunderts in mancher Hinsicht schlimmer aussieht als das erste. Es sieht aus wie ein anderes Jahrhundert in einem anderen Land.«
»Ich bin ein positiver Mensch«, sagt Gracie.
Edgar hat ein Hochfrequenzlachen, das durch Zeit und Raum trägt, eine Art Gackern, ehrlich gesagt, schrill und glibberig – sie hält es für wahrscheinlich, daß die Hunde es hören können.
»Ich weiß, daß eine mühevolle Prozedur befolgt werden muß«, sagt sie, »wenn man einen positiven Gemütszustand erreichen will. Es ist ein Wunder, daß du noch Kraft übrig hast, um das Auto zu lenken.«
Das kotzt Gracie an, und sie motzt ein bißchen,
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