Unterwelt
klauenförmigen Hand, deren Adern vor lauter Anstrengung hervortreten. Und das Gefühl der leicht erhabenen Nähte unter den Fingerspitzen, die Unebenheiten des Stoffs wie eine holprige Straße unter den Fingerknöcheln – wie man die herumgewickelte Baumwolle als vergrößerten Daumenabdruck sehen kann, eine Großaufnahme der spiralförmigen Linien auf dem Ballen des Daumens. Der Ball war tiefsepiabraun, hatte eine Patina von Schmutz und Gras und dem Schweiß von Generationen – er war alt, aufgequollen, verdellt und tabakbespritzt und befleckt von natürlichen Prozessen und den Lebensläufen dahinter, er war wetterbesudelt und hatte Charakter wie ein Haus an der See. Und am Firmenlogo von Spalding war er grün verschmiert, trug noch immer eine kleine grüne Wunde, wo er, wie seine Geschichte besagte, gegen eine Säule geknallt war – abgeblätterte Farbe vom Bolzen eines Stützpfeilers auf den Tribünen am linken Außenfeld, Farbe, die sich in die Oberfläche des Balls eingegraben hatte.
Vierunddreißigtausendfünfhundert Dollar.
Wie die Hand Erinnerungen aus dem Baseball herausholt, die nichts mit den üblichen Spielen zu tun haben.
Pech, Branca-Pech. Von ihm zu mir. Der Augenblick, der das ganze Leben bestimmt.
Einmal ertappte mich Marian, wie ich den Ball anschaute. Ich stand vor den Regalen mit dem Ball in der Hand, und sie fand, ich sähe wie Hamlet aus, der Yoricks Schädel anschaut, oder vielleicht wie Aristoteles, noch besser, sagte sie, der die Büste Homers betrachtet. Das fanden wir gut. Rembrandts Homer und Thomsons »Homer«. Wir lächelten darüber.
Ich dachte an die alte Radiostimme, Russ Hodges – inzwischen mindestens zwanzig Jahre tot –, an die ungläubige Elektrisiertheit, die Kraft einer einzelnen menschlichen Stimme, die aus einem Kasten kommt.
Sie fragte nicht, ob Portland in Maine oder Portland in Oregon, als ich sagte, es sei nicht Boston, sondern Portland, und die Frage mußte kommen, eingebettet in die Abfolge unserer Unterhaltung, auf ihren Auftritt lauernd, doch dann schlief einer von uns ein, bevor Marian mit genau diesen Worten fragen konnte, welches Portland eigentlich, ich glaube, ich schlief zuerst ein, aber vielleicht auch nicht – das Licht war aus, das letzte Licht war schon aus.
Dann tauchte ich aus einem Traum auf und tastete mich bis zu dem Armsessel, seltsam schnaufend, und schaltete die kleine Leselampe ein.
Und der Lärm der Menge hinter dieser Stimme, das unablässige Krachen und die Spannung, die Dichte, dieses Knistern und Wimmeln, das bei jeder neuen Wendung des Spiels stärker wurde – ein derart intensives Geräusch, daß es hätte Funken schlagen, mit seiner Hitze das Radiogerät durchbrennen lassen können.
Ich hörte, wie nebenan meine Mutter aufstand, um auf die Toilette zu gehen. Ich horchte, wie sie das Zimmer verließ. Ich wartete und horchte, fast atemlos. Ich wartete auf das Schlurfen der Hausschuhe im Flur, auf die Gangart, den vertrauten Rhythmus und die Art des Schlurfens, und dann horchte ich auf das Geräusch der Spülung – mit vollem Bewußtsein, in grimmigster, konzentriertester Reglosigkeit, bis sie wieder sicher im Bett lag.
Ich hob die Waffe und zielte auf ihn und sah, wie sich ein interessiertes Lächeln über sein Gesicht legte, ein oberschlaues, hämisches Grinsen.
Vielleicht war das der Traum – ich war mir nicht sicher.
Dann holte ich den Baseball aus dem Bücherregal und setzte mich in den Armsessel und schaute an die whiskey-cremefarbene Decke.
An dem Tag hörte ich nicht den Sender der Dodgers. Sondern Russ Hodges, ich versuchte, das Schicksal zu wenden. Damals wäre ich nie drauf gekommen – eigentlich erst, als ich in dem Armsessel saß und den Baseball in der Hand drückte –, aber Russell Hodges, wenn man die Buchstaben zählt, wenn man so verrückt ist, auf diese Idee zu kommen, also den kompletten Namen auszuschreiben und die Buchstaben zu zählen, dann hat man, sieh da, die gute alte Dreizehn.
Jetzt war ich ruhiger. Es ging wieder. Mein Arm hing über der Sessellehne, und ich drückte den Baseball, Marians Schlafatem im Ohr, drückte ihn fest, und die Adern auf meinem Handrücken zogen sich glatt, wurden vollkommen flach.
Vielleicht schliefen wir gleichzeitig ein. Dann tastete ich mich bis zum Armsessel und knipste die Lampe an. Da stand ich und zerrte mir die Pyjamajacke herunter, wo sie vom Schweiß an der Haut klebte. Dann trat ich ans Bücherregal und nahm mir den Baseball.
Sie saß aufrecht da. Nein,
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