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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Zimmer schaut er aus dem Fenster, in dem Zimmer, das er mit seinen Brüdern geteilt hat und das jetzt eindeutig seins ist, dann läßt er den Ball auf die Khakidecke des unteren Bettes fallen, der robuste olivfarbene Wollstoff ist der einzige Anflug von etwas Militärischem, und schnappt sich einen Pullover von der Stuhllehne. Er zieht ihn über den Kopf und schaut wieder durchs Fenster, beobachtet die Menschen unter den Straßenlaternen, die ins Halbdunkel unterwegs sind. Wird viel zu früh dunkel. Er steht da und schaut, ein Beobachter, ein Niemand an einem Fenster, und dann hört er, wie sich seine Mutter durch die Tür schiebt.
    Mit einem Ruck ist er wieder da und überlegt, was er sagen soll, falls er wegen Schuleschwänzens zur Rede gestellt wird. Aber er weiß, Rosie wird ihn nicht verpetzen. Er glaubt das zu wissen. Er vertraut mehr oder weniger darauf. Er glaubt ihre Treue durch die Wände zu spüren, und er geht in die Küche, wo seine Mutter Lebensmittel einräumt, und er läßt eine Hand auf Rosies Schulter fallen, steht am Tisch und hat die bunten Schachteln und Dosen im Blick, die seine Mutter in die Regale stellt.
    Seine Mutter sagt: »Wie oft?«
    »Was?«
    »Muß ich es dir noch sagen. Zieh diesen Pullover nicht an. Ich muß diesen Pullover erst sauberkriegen.«
    »Leg ihn in etwas Scharfes«, sagt Rosie. »Dieser Pullover ist dreckig.«
    »Wenn du ihn in die Reinigung bringst, geben sie ihn gleich zurück«, sagt Rosie. »Abgelehnt.«
    Die Welt ist nämlich voller Dinge, die er nicht tun und nicht tragen soll. Aber vielleicht mag er es auch, wenn sie sich gegen ihn verbünden, das ist anders als bei seinen Brüdern, die ihn ein bißchen herumgeschubst und ein bißchen aufgezogen haben, aber ohne dieses mäkelige Interesse zu zeigen, diese endlose, kontrollierende Sorge. Seine Schwester hat den Kopf vorgestreckt, damit sie den neuesten Auswuchs seiner Beschränktheit genau studieren kann. Er fährt gern mit den Fingern über den Rand der Obstschale, über die gesprenkelte Glasur, und dann Rosies Bücher überall auf dem Tisch und das Obst in der Schale und seine Mutter am Herd oder am Hängeschrank, und wie seine Mutter mit ihm redet, ohne je in seine Richtung zu schauen, aber sie weiß genau, wo er ist, und verändert die Lautstärke, je nachdem, wo er sich gerade aufhält, Zimmer für Zimmer. Vielleicht will er, daß sie ihn ergründen, damit sie ihm dann das Geheimnis verraten.
    »Dieser Pullover ist voller Kletten«, sagt Rosie. Das Wort scheint ihr zu gefallen, und sie legt eine neckende Lässigkeit in ihre Stimme. »Voller Kletten von einem Obstgarten, in dem er offenbar mal war.«
    Er fährt mit den Fingern über die Innenkante der Schale, ertastet Spuren, wie Spritzer von gequirltem Material, blasige Stecknadelkopfwölbungen. Seine Mutter schickt ihn zum Händewaschen. Sie schaut ihn nicht an, aber sie kennt den Zustand seiner Hände nach dem Stand von Sonne und Mond. Er ist der Schmutz in Person. Der leibhaftige lebendige Dreckman vom Planeten Schmutz.
    Beim Abendessen wird geschwiegen. Weil sein Vater nicht da ist und jeden Augenblick hereinkommen könnte, vielleicht aber auch nicht, und sie befinden sich im unfreiwilligen Wartezustand. Komisch, wie sich seine Mutter immer mit den Schultern durch die Tür schiebt, beladen mit Einkaufstüten und Päckchen, dazu ihre Handtasche, deren langen Henkel sie über den Kopf zieht und quer über dem Oberkörper trägt, oder wie sie eine Tasche an den Griffen hinter sich herzerrt oder mit Hinkebeinschritten aus dem Flur hereinschubst, wie sie sechs verschiedene Arten Laute von sich gibt, selbst wenn sie gerade nichts trägt, wie sie die Straßen hereinbringt, die U-Bahn, die Busse und die Straßen, den ganzen Lärm und die Mühe, in die Innenstadt und wieder hinaus zu kommen, so ist seine Mutter, und sein Vater schlüpft meistens unangekündigt herein, steht da und stiert, an die Wand gepreßt, als wäre er zur falschen Tür hereinspaziert und müßte erst mal die Einzelheiten seines Irrtums sortieren.
    Seine Mutter ist groß und ein bißchen schief, und sie ist stark. Das weiß er, weil er schon mal Sachen hochgehoben hat, die sie gehoben hatte, er hat Sachen die vier Stockwerke hochgetragen, die sie sonst oft und mit Pokerface trägt – sie braucht eine halbe Minute, um diesen ungeübten Muskeln ein Lächeln zu entlocken.
    Sie sagt: »Ich habe diesen Mann gesehen, der auf der Straße predigt. Immer an derselben Stelle.«
    »Ich auch«, sagt

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